Kategorie: Kunst

Über die Anbetung des Geldes

„Der wahrhaft Geldgläubige verehrt das Geld nicht, weil man sich damit alles kaufen kann, sondern weil es seine höchste Instanz, sein Polarstern, der Sinngeber seines Daseins ist. Man wird zugeben müssen, daß dies kein kompakter roher Aberglaube nach Art der Fetischisten und Wallfahrer ist, sondern ein Götzendienst von hoher Sublimationskraft, kein einfacher Materialismus, sondern die Prostration vor einem geistigen Prinzip, wie ja auch der Teufel eines ist. Und alsbald erheben sich in den Städten mächtige Hauptheiligtümer namens Börsen und Scharen kleiner Tempel, Banken genannt; in ihnen wird etwas Magisches, Allmächtiges, Allgegenwärtiges, aber Unsichtbares angebetet; vorgeblich eingeweihte Priester (meist freilich Ignoranten oder Betrüger) verkünden seinen Willen; zahllose Gläubige bringen opferfroh ihre Habe dar, in heiliger Scheu unverständliche Beschwörungsformeln einer fremden Sprache murmelnd. Das Credo ist zum Credit geworden.“

(Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, C.H.Beck, 3.Auflage, München 2012, S. 1036 f.)

„Der langsame Pfeil der Schönheit“

„Der langsame Pfeil der Schönheit“

Nietzsche1882
Friedrich Wilhelm Nietzsche (* 15. Oktober 1844 in Röcken; † 25. August 1900 in Weimar) Quelle Wikipedia

 

Aus der Seele der Künstler und Schriftsteller

„Die edelste Art der Schönheit ist die, welche nicht auf einmal hinreißt, welche nicht stürmische und berauschende Angriffe macht (eine solche erweckt leicht Ekel), sondern jene langsam einsickernde, welche man fast unbemerkt mit sich fortträgt und die einem im Traum einmal wiederbegegnet, endlich aber, nachdem sie lange mit Bescheidenheit an unserem Herzen gelegen, von uns ganz Besitz nimmt, unser Auge mit Tränen, unser Herz mit Sehnsucht füllt.“

 

Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, Band 3, Menschliches – Allzumenschliches / Jenseits von Gut und Böse / Zur Genealogie der Moral / Der Antichrist, Viertes Hauptstück: Aus der Seele der Künstler und Schriftsteller, Phaidon, 1990, S.69

Sichere Gründe und die „schöne“ Literatur

Sichere Gründe und die „schöne“ Literatur

 „Ich brauche keine Bücher für die Insel. Ich habe die Bücher von Karl-Markus Gauß. Sie sind ein sicherer Grund.“ (Robert Menasse über Karl-Markus Gauß)

GaußNun endlich weiß man, was für Robert Menasse ein „sicherer Grund“ ist und darf für ihn hoffen, dass ihn das auf eine einsame Insel verschlagen nicht doch einmal reuen wird.

Es kam bisher sehr selten vor, dass ich mich, von der öffentlichen Meinung beeinflusst, dazu hinreißen ließ, ein bestimmtes Buch zu kaufen. Meine Buchentscheidungen begründen sich für gewöhnlich anders, sie laufen über verschlungene Pfade von Zitierungen und sind meist keine kurzfristigen Liebschaften, sondern langgehegte Lieben, die dennoch nicht selten spontane Erfüllung finden. Diesmal war es anders, ich gebe es zu. Karl Markus Gauß, „Lob der Sprache, Glück des Schreibens“, sein jüngstes Werk war erschienen und gut in Szene gesetzt, daran wollte auch ich nicht vorbeigehen. Umso mehr als der Titel mir aus dem Herzen sprach, wie kaum je ein anderer. Einen Titel, der verspricht etwas Licht in die „sprachliche Finsternis weiter Bereiche der Gegenwartsliteratur“ zu bringen, darf man sich nicht entgehen lassen, dachte ich.

Vor wenigen Tagen, bald nach dem Erscheinen des genannten Bandes also, wurde ich bereits glücklicher Besitzer desselben. Ungeduldig überflog ich, in der Hoffnung endlich zu erfahren, was „gehobene Schreibkultur“ in der Gegenwart bedeutet, einzelne der Beiträge. Eine eilige, oberflächliche Durchsicht des Dargebotenen verdichtete sich alsbald zur ernüchternden Erkenntnis:  „Lob der Sprache“ nennt sich das Werk zwar nicht ganz unverdient, etwas hoch gegriffen hat man dabei doch; „Glück des Schreibens“ nun ja, das mag stimmen. Ein „Geschichtchen“ reiht sich an das andere, alles in leichtem Plauderton gehalten, gefällig, aber meist doch gekonnt vorgetragen. Das also ist höchste Schreibkunst, dachte ich.

Die Enttäuschung ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Bereits nach der Lektüre der einleitenden Glosse „Frau Jagger verliert einen Ring“ wich die hoffnungsfrohe Neugier  deprimierender Erkenntnis: der Text endet nach zwei kurzen Seiten in einem sprachlichen Fiasko.

„Ja und Türsteher und Rausschmeißer braucht es natürlich auch, wenn es um richtige Charity geht: Denn herrlich ist es nur, für die Obdachlosen,  nicht mit ihnen zu dinieren.“  

Ja, so eine Charity ist schon ein Greuel, wen juckt es da nicht in den schreibenden Fingern? Wenn aber auch der „elegante Essayist“  Gauß im Charity-Sumpf sprachlich untergeht, tut das dem gerechten Herzen doppelt weh.

Wer diniert hier mit wem, für wen ist es herrlich und für wen nicht? So geht’s, dachte ich, wenn einem in der Hitze des Gefechts der Gegenstand der Betrachtung abhanden kommt.

„Wenn das so ist mit der sprachlichen Sorgfalt, werd’ ich wohl nicht bis ans Ende kommen“, befürchte ich.  Die Versuchung, den „größten Stilisten der Gegenwartsliteratur“ (vgl. Umschlagtext),  sogar gegen die Empfehlung der Experten in die Reihe

„zwar nur teilweise gelesen, aber wenig zu empfehlen“

zu verbannen, ist zugegebenermaßen groß.  Aber vielleicht erwartet mich ja doch noch die eine oder andere positive Überraschung, die das Buch an den Platz rückt, an den es angeblich gehört. Falls es so ist, verspreche ich, mit meinem Lob an dieser Stelle nicht zu geizen.

Peter Altenberg

Peter Altenberg

Peter Altenberg , * 9. März 1859 in Wien; † 8. Jänner 1919 in Wien; Quelle Wikipedia
Peter Altenberg , * 9. März 1859 in Wien; † 8. Jänner 1919 in Wien; Quelle Wikipedia

„Wenn man Menschen gutmütig-gerecht behandelt, so „übernehmen“ sie sich, werden frech. Wenn man sie ungutmütig-ungerecht behandelt, so hassen sie uns. Ist da nicht die „Tonne“ das beste, sicherste Logis?!“

Thomas Bernhard

Thomas Bernhard

9.Februar 1931 bis 12.Februar 1989

Quelle Wikipedia
Quelle Wikipedia

„Es ist immer modern gewesen, zu  sagen, die Alten sollen mit den Jungen reden, weil die Jungen den Alten sehr viel zu sagen hätten, aber das Gegenteil ist der Fall: die Jungen haben den Alten überhaupt nichts zu sagen. Selbstverständlich hätten die Alten den Jungen etwas zu sagen, aber die Jungen verstehen ja nicht, was die Alten zu ihnen sagen, weil sie es gar nicht verstehen können und deshalb auch gar nicht verstehen wollen.“

 

(Thomas Bernhard, Holzfällen, Eine Erregung, Suhrkamp, Erste Auflage, Frankfurt am Main, S. 267f.)

„Holzfällen“ – Eine Erregung

Eine kurze Bemerkung über eine Aufführung einer dramatisierten Fassung von Bernhards „Holzfällen“. Grazer-Schauspielhaus, Mittwoch, den 29.Jänner 2014

Wer je Bernhards „Holzfällen“ gelesen hat, durfte sich einen aufregenden Abend erwarten.

Auch die Vorankündigung des Grazer Schauspielhauses klang vielversprechend:

„Bernhards Holzfällen ist eine tosende Abrechnung mit der feinen Wiener Gesellschaft, dem Künstlertum, dem Theater und der Schauspielerei, die in den satirisch-sarkastischen Übertreibungen eine alles zersetzende Komik gewinnt. Krystian Lupa brachte fünf polnische Erstaufführungen der Texte Bernhards auf die Bühne, die für das zeitgenössische Theater Polens richtungsweisend waren: neben den Dramen Immanuel Kant, Über allen Gipfeln ist Ruh und Ritter, Dene, Voss auch die Romane Das Kalkwerk und Auslöschung. Krystian Lupa, Vorstand der österreichischen Thomas Bernhard Privatstiftung, wurde nicht zuletzt für diese Arbeiten in polnischen Publikationen als »Meister der Adaption« bezeichnet. Holzfällen ist seine erste Thomas-Bernhard-Inszenierung in Österreich“

Die Theaterrealität, die folgte, war mehr als  enttäuschend. Schauspieler, die – mit wenigen Ausnahmen (unter ihnen Gerd Balluch) – unartikuliert sprachen und (vielleicht deshalb) Mikrophone brauchten; die überaus zahlreichen Einspielungen von Videosequenzen erinnerten an einen langweiligen Fernsehabend, anstelle von spannenden Mono- bzw. Dialogen wurde eine unnotwendig langatmige „Psychologisierung“ von Joanas Selbstmord geboten. Johannes Silberschneider, dessen Schauspielkunst in anderen Rollen zu schätzen ist, war hier leider eine Fehlbesetzung, da ihm in allen Lagen die Schärfe fehlt, das Bernhardsche Skalpell zu führen. Das alles erzeugte eine Erregung aus  Langeweile!

Nicht wenige der Zuseher verließen den „Schauplatz“ bereits zur Pause.

Schade, denn es gab ein fast ausverkauftes Haus, ein aufnahmebereites und überaus tolerantes Publikum. Es hätte sich Besseres verdient.

Diese Aufführung wurde der großen Kunst Bernhards nicht gerecht.

Camus – ein Resümee

Camus – ein Resümee

sisyphos statue
Sisyphos wälzt den Stein
Quelle Wikipedia

Das Absurde bei Camus wird einerseits durch die  Hoffnungslosigkeit begründet, die sich aus der Unvermeidbarkeit des Todes und aus der bis dahin sich erstreckenden, unbehebbaren Sinnleere ergibt, andererseits damit, dass wir das Leben trotz dieser Erkenntnis zu Ende führen müssen.

Wir Menschen wissen aber auch, dass unsere Erkenntnisfähigkeit, auf die wir in Ermangelung von etwas Besserem bauen müssen, uns von Zeit zu Zeit auch ihre eigenen Mängel bescheinigt. Dass aber gerade diese Mangelhaftigkeit des Erkenntnisapparates es ist, die uns in unserer Hoffnungslosigkeit zumindest in diesem Fall zu Hoffnung berechtigt, ist die wahre Absurdität.

Sisyphos – eine Künstlerexistenz?

Sisyphos – eine Künstlerexistenz?

Eine kurze Betrachtung zu Albert Camus „Der Mythos des Sisyphos“

Tizians Sisyphos
„Sisyphus“ von Tizian, Prado
Quelle Wikipedia

Vorbei sind die Zeiten, in denen Heerscharen von Kunsthandwerkern und Künstlern – eine trennende Grenze zu ziehen, soll jedem für sich überlassen bleiben – ihr Auskommen über ein ausreichendes Ausmaß von Auftragsarbeiten bestritten.

Die Wandlung des „Kunsthandwerker-Metiers“ hin zum „Individualkünstler“, die vom Mäzenatentum hin zum „Staatskünstler“, die von der „intentionalen Kunst“ hin zur „L’art pour l’art“ hat ihren Preis.

Niemals in der Geschichte haben so viele Menschen „Kunstwerke“ produziert wie in unseren Tagen. Der Anteil derer aber, deren Erträgnisse daraus ausreichen, ein bequemes Leben zu führen, ist verschwindend klein. Diese deswegen als „Hobbykünstler“ abzuqualifizieren, ist nicht nur ungerecht, sondern auch dazu geeignet, die soziale Problemlage zu verschleiern, in der sich ein Großteil der vornehmlich bildenden Künstler  heute befindet. Künstler-sein bedeutet in der Regel, seine materiellen Ansprüche auf ein Minimum beschränken zu müssen.

Dennoch wurde noch nie soviel Kunst von so vielen Künstlern produziert wie heute!

Im Gegensatz zu einer nach außen hin durch und durch materialistisch-rational ausgerichteten Welt, in der angeblich nur Leistung und Erfolg zählen – die Macht der „Seilschaften“ bleibt meist unerwähnt – scheint das Bedürfnis, sich etwas ganz Anderem hinzugeben, außerordentlich groß. Neben dem Zulauf, den irrationale „Zirkel“  erfahren, scheint sich das „Künstlerdasein“ als Ausgleich zu den strengen Erfordernissen des Alltags, ungeheurer Beliebtheit zu erfreuen. Anders als zu Zeiten des Biedermeier tritt der Künstler von heute – auch der, der sein Metier „nur so nebenbei“ betreibt – gerne vor den Vorhang. Gelegenheiten dazu werden reichlich geboten.

Kein ländliches Bankinstitut, keine noch so kleine Zweigstelle, kein Cafe, kein Klostergarten, keine Zahnarztpraxis, kein Heimatmuseum, sei es auch noch so versteckt, ja nicht einmal die so sehr geschätzten Wohlfühltempel allgemeiner Wellnessbewegung möchten darauf verzichten, durch das Veranstalten von Ausstellungen und Vernissagen Kunstbeflissenheit zu beweisen.

Eine „win-win-Situation“ könnte man meinen. Die einen unterhalten ihre Besucher, die anderen konsumieren die dargebotene Kunst und das reichliche Buffet, die Künstler lassen sich beklatschen.

Für viele Künstler bleibt aber auch das ein Wunschtraum. Ihre Werke erreichen die Öffentlichkeit niemals. Dennoch arbeitet auch diese Spezies beflissen an ihrer Kunst, betrachtet sich gerne als „verkannt“ und behauptet nicht selten, dass ihre Arbeit sie glücklich mache.

Persephone beaufsichtigt Sisyphos in der Unterwelt. Seite A von einer schwarzfigurigen attischen Amphora, um 530 v. Chr. Aus Vulci. Quelle: Wikipedia
Persephone beaufsichtigt Sisyphos in der Unterwelt. Seite A von einer schwarzfigurigen attischen Amphora, um 530 v. Chr. Aus Vulci.
Quelle: Wikipedia

Man müsse sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, resümiert Albert Camus. Diese Aussage verblüfft immer noch. Und sie verblüfft  zu recht!

Wie kann ein Mensch, der dazu verurteilt ist, sein Leben damit zu verbringen, einen schweren Felsen den immer gleichen, steilen Abhang hinaufzuwälzen, in der Gewissheit ihn immer und immer wieder hinabstürzen zu sehen, glücklich sein?

Es scheint im Grunde nur zwei einleuchtende Antworten zu geben: Sisyphos ist von der ihn beseelenden Hoffnung erfüllt, dass dieses Schicksal irgendwann einmal ein Ende haben wird oder aber er hat diese hoffnungslose Tätigkeit als sein persönliches  Schicksal anzunehmen gelernt.

Was, wenn beides nicht der Fall ist?

Auch wenn er bei  jedem Abstieg aufatmet, auch wenn er dabei neue Kraft schöpft, tut er dies in der Gewissheit, immer wieder von Neuem beginnen zu müssen.

Es ist also nicht die Hoffnung auf ein Ende der Mühsal, nicht die Hoffnung auf eine Linderung seiner Qual, schon gar nicht die auf einen sich hinkünftig einstellenden Erfolg.  Es ist einzig der Wille in seinem Tun jede ihm sich stellende Schwierigkeit, vielleicht sogar sich selbst zu überwinden. Es ist sein Hang zum Trotz, der sich im „Trotzdem“ manifestiert.

Ist es der Trotz, der ihn am Leben erhält?

Niemandem, nicht einmal den Göttern soll es gelingen, ihn zu brechen. Dieser Wille, zur Erkenntnis erstarkt, ist Gewissheit geworden, ohne sich auf die unsichere Bewahrheitung einer Hoffnung verlassen zu müssen.

„Wenn eine absurde Haltung absurd bleiben soll, dann muss sie sich ihrer Grundlosigkeit bewusst sein.“[1] 

Es besteht also kein Anlass, zu hoffen?

Die Quelle der Hoffnung läge in Gott allein, behauptet der religiöse Mensch. Dem absurden Menschen, dem Wesen nach Atheist, ist dieser Weg versperrt.

Tombstone_Albert_Camus
Grabstein/Tombstone/Pierre tombale – Albert Camus – Lourmarin, Frankreich/France – Own picture/Selbst fotografiert/Ma photo – 20030531
Urheber/Author/Auteur: Walter Popp –wpopp
Quelle: Wikipedia

Was bleibt, als sich selbst Sinn zu verschaffen, sich eine sinnvolle Existenz zu kreieren, aus  eigenem Antrieb, durch eigenes Tun?  Auch daran scheitert der absurde Mensch, will er es bleiben. Für ihn gibt es keinen Sinn. Sinn lässt sich weder  finden noch schaffen.

Was bleibt,  ist das „Trotzdem“.

„Aber die erdrückenden Wahrheiten verlieren an Gewicht, sobald sie erkannt werden.“ schreibt Camus.

Wird ihm deshalb der Felsen leichter? Dieses „Trotzdem“ ist jedenfalls nicht gegen die Götter gerichtet, die Sisyphos, zumindest der Sage nach, mit diesem schweren und unabänderlichen Schicksal bedachten.

Sein Trotz kann schon allein deswegen nicht gegen die Götter gerichtet sein, weil selbst im Kontradiktorischen deren Existenz und Macht anerkannt werden müsste.

Die einzig mögliche Projektionsfläche auf die sich dieses „Trotzdem“ beziehen darf, ist und bleibt das Tun selbst. Daraus speist sich das Absurde. Daraus speist es sich ebenso, wie es sich aus der dem Menschen unzweifelhaft vor Augen geführten Einsicht speist, dass der Mensch nicht anders kann, als in seinem Bestreben, die Welt zu erkennen, seiner Vernunft zu vertrauen und dieses Vertrauen aufrecht zu erhalten, obwohl er weiß, dass seine Vernunft ein nur mangelhaftes Instrument dazu darstellt.

„Das Absurde ist die hellsichtige Vernunft, die ihre Grenzen feststellt.“[2]  

So wälzen auch die Künstler ihren Felsen immer wieder bergwärts, ohne Hoffnung, aber auch ohne ins Absurde einzuwilligen, um es nicht zu zerstören?

„Es gibt also ein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.“ [4]

Nichts bleibt, als „trotzdem“ noch ein weiteres Bild zu malen oder noch ein weiteres Gedicht zu verfassen!


[1] Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos, rororo, Reinbek bei Hamburg, 15.Auflage, 2013, S. 122  [2] A.a.O., S. 62  [3] A.a.O., S. 48  [4] A.a.O.,S 144

Who is perfect?

Ich möchte hier einem Kunstprojekt Platz geben, das die „Aufgabe der modernen Kunst“, wenn man der Kunst überhaupt eine Aufgabe zuweisen will, in hervorragender Weise zum Ausdruck bringt.
Für mich ist das eines der wohl eindrucksvollsten Kunstprojekte, die ich in letzter Zeit sah. Eindrucksvoll nicht nur wegen der hier bewiesenen sozialen Kompetenz und Ausdruckskraft, sondern auch deswegen, weil es in eklatantem Gegensatz steht zu der von den „maßgeblichen Museen“  bis zum Erbrechen verfolgten Linie,  Sandhäufen aufzuschütten, blinkende Drahtinstallationen zu montieren und mit  immer wiederkehrenden lapidaren Botschaften vermittels Neonleuchtschriften die Besucher zu langweilen.
Hier einmal keine dieser 1000sten Wiederholungen des Immer-Gleichen!
Link:
Die Unmoral und die Moralisten

Die Unmoral und die Moralisten

Wenn anstelle guter Argumente eine zweifelhafte „Moral“ herhalten muss …..

Otto_mueller-_zwei_halbakte
Otto Mueller, Zwei weibliche Halbakte 1919, Sammlung Ismar Littmann, Breslau; 1935 beschlagnahmt, 1999 restituiert.
Quelle Wikipedia

Da tauchen, durch Zufall entdeckt, in einer Wohnung  mehr als eintausend seit Jahrzehnten verschollene Kunstwerke auf,  die  man als „Raubkunst“ zu erkennen glaubt,  und sofort entzündet sich an ihnen eine heftige Diskussion um die „Moralität“, der an sie gestellten Eigentumsansprüche.

Nun ist es in demokratisch verfassten Staaten so, dass die „Moral“ einer Gesellschaft, damit sie rechtsrelevant sein kann, durch geregelte Verfahren in den Rechtsbestand aufgenommen werden muss. Durchläuft „die Moral“ diesen Prozess nicht, bleibt sie, so will es der Souverän,  für die Beurteilung von Rechtsfällen unberücksichtigt. Was die staatlichen Kunstsammlungen anlangt, hat die Moral diesen Weg durchlaufen, was zahlreiche Restitutionen der letzten Jahre belegen. Was die Privatsammlungen anlangt, zeigt sich rechtlich ein etwas anderes Bild. Insofern wird wohl gelten, dass Herrn Gurlitt die Eigentumsrechte an den Bildern nicht abgesprochen werden können. Aber das werden die Gerichte klären.

Im Nachfolgenden wird es auch nicht um Rechtsfragen, sondern um Fragen der Moral gehen.

Herrn Gurlitt verteidigen zu wollen, liegt mir fern, ihn anzugreifen ebenso. In mir finden sich keinerlei Sympathien für ihn; warum auch? Eher ließen sich Misstrauen und eine darauf aufbauende Antipathie aufspüren, wenn man nur tief genug grübe. Um ein grundsätzliches Misstrauen könnte es sich handeln, das ich, das gebe ich gerne zu, gegen über allen jenen Menschen empfinde, die auf moralisch zwiespältige Weise immense Reichtümer, worauf immer sie sich gründen, angesammelt haben. Im speziellen Fall kommt noch der begründete Verdacht hinzu, dass Herrn Gurlitts Vater einen Großteil der Bilder (wenn nicht sogar alle) mit Hilfe des Naziregimes auf unredliche Weise an sich gebracht haben könnte.

Dieses Misstrauen scheint auch die  geschätzte Wiener Philosophin Isolde Charim zu teilen. Sie nahm jedenfalls einen im Spiegel erschienen Bericht über Herrn Cornelius Gurlitt, in dessen Eigentum die beschlagnahmten Bilder jetzt stehen, zum Anlass, ihre Kritik an der Gesetzeslage und an der Berichterstattung des Spiegel in Form eines Essays in der TAZ zu veröffentlichen.

Die Erwartungen, die man an eine Äußerung dieser Art stellen kann und stellen muss, lassen sich – je nach Anspruchslosigkeit – auf zumindest zwei unverzichtbare Punkte zusammenfassen:

  • Es sollte sich um keine billige Polemik handeln und es sollten sich darin zumindest ansatzweise Hinweise auf
  • Lösungen erkennen lassen, wie man aus einer „unmoralischen Geschichte“ eine moralisch vertretbare machen könnte, ohne dabei neues Unrecht hervorzubringen.

Da es sich um einen relativ kurzen Text handelt, darf man bezüglich des Umfangs der Aspekte und der Tiefe ihrer Behandlung nicht zu große Ansprüche stellen. Was den Leser erwartet, ist allerdings alles andere als ein definitiver Lösungsansatz des „moralischen Problems“; es ist Polemik pur.  Und das enttäuscht.

Auch wenn man die Unzufriedenheit mit der Gesetzeslage in Hinblick auf die Fragen der privaten Restitution von Nazi-Raubgut mit der Autorin teilt, finden sich in ihrem Text einige nicht unwesentliche Passagen, die Kritik geradezu herausfordern.

Frau Charim erweist sich, das muss man ihr neidlos zugestehen,  in diesem Text als Meisterin der Demagogie. Was in diesem Fall allerdings nicht als Kompliment gewertet werden sollte. Wortgewaltige Demagogie und Polemik hat aber auch ihre Schwächen und Wortverliebtheit steht dem Wollen, dem „Guten“ zum Durchbruch zu verhelfen, manchmal sogar im Weg; steht ihm manchmal so sehr im Weg, dass Gefahr besteht, das Wesentliche dabei aus dem Blick zu verlieren.

Sehr oft, zu oft für meinen Geschmack, ist in ihrem Text von Moral die Rede. Dies verwundert umso mehr, je mehr versucht wird, Herrn Gurlitt mit ausgefeilten, demagogischen Mitteln zu diskreditieren. Zu diesem Zweck wird beispielsweise Herrn Gurlitts Vorliebe mit seinen Lieblingsbildern in einen abendlichen „Dialog“ zu treten, von der Autorin unter Bezugnahme auf die  „Welt“  als „parasozial“ bezeichnet.

Da man davon ausgehen kann, dass nur wenige der Leser wissen, worum es sich dabei wirklich handelt, sei der Begriff, der dem ungeübten Leser nicht zuletzt eine Assoziation zu „asozial“ suggeriert, zumindest andeutungsweise erklärt. „Parasozial“ verhalten sich diejenigen, die eine Imagination, eine Vorstellung (oder auch einen Gegenstand) als real existierenden Gesprächspartner ansehen  und meinen, mit ihm in einen Dialog eintreten zu können. (Wie das beispielsweise betende Gläubige mit ihrem Gott  oder mit einer Ikone tun). Im Fall Gurlitt wird diese durchaus weit verbreitete „Praxis“ mit einem moralisch negativen Beigeschmack versehen, der durch nichts begründet ist.

Um dem Angriff vermehrt Schärfe zu verleihen, zitiert Charim einen Großen der Kunsttheorie,  Walter Benjamin:

Walter Benjamin hat so einen Umgang mit Kunst  [so Charim]  als „säkularisiertes Ritual“ bezeichnet, bei dem es wesentlich sei, „das Kunstwerk im Verborgenen zu halten: gewisse Götterstatuen sind nur dem Priester in der cella zugänglich.

Das soll Gurlitt als eigenartigen, versponnenen Sonderling markieren, der seine Bilder in einer Wohnung „vor fremden Blicken geschützt“ aufbewahrt? Damit wird aber weggelassen, dass Benjamin auch auf eine andere Tatsache hingewiesen hat, die in diesem Zusammenhang natürlich unerwähnt bleibt, weil sie sich nicht als Angriff auf das Ziel eignet.

Benjamin schreibt auch:

„Der einzigartige Wert des „echten“ Kunstwerks hat seine Fundierung im Ritual, in dem es seinen originären und ersten Gebrauchswert hatte.“ [1]

Gurlitt bestätigt mit seinem Verhalten also genaugenommen diesen von Benjamin als „ursprünglich“ (normal) abgesteckten Rahmen, der die rituelle Begegnung zwischen Kunstwerk und Rezipienten umschließt. Nichts Anstößiges, nichts Absonderliches also geschah.

Carl Spitzweg;   "Justitia"  ehemalige Sammlung Leo Bendel, ein Beispiel der Raubkunst: 1937 für die Finanzierung der Emigration verkauft, bis 2006 in der Villa Hammerschmidt, Bonn; vom Bundespräsidialamt 2007 restituiert. Quelle Wikipedia
Carl Spitzweg;
„Justitia“
ehemalige Sammlung Leo Bendel, ein Beispiel der Raubkunst: 1937 für die Finanzierung der Emigration verkauft, bis 2006 in der Villa Hammerschmidt, Bonn; vom Bundespräsidialamt 2007 restituiert.
Quelle Wikipedia

Von ihrer Angriffslust verleitet, vergisst die Autorin offensichtlich, die hier wirklich relevanten,grundsätzlichen Fragen der Moral anzusprechen:

* Wie sieht es mit den Gerechtigkeitsmaximen einer Gesellschaft aus, in der der Besitz von mehr als eineinhalbtausend Bildern mit einem angeblichen Marktwert von mehr als einer Milliarde Euro als moralisch korrekt beurteilt wird? (Und zwar unabhängig davon, ob es sich um „Raubkunst“ handelt oder nicht!)

* Auf der Basis welcher Überlegungen ist es moralisch zu rechtfertigen, dass Kunstgegenstände durch spekulative Praktiken in exorbitant hohe Preisdimensionen befördert werden?

* Wäre es denkbar, dass Moral und  Kunstmarkt grundsätzlich unvereinbar sind?

* Wäre das angeblich „moralische“ Interesse an der Causa Gurlitt eben so groß, wäre der materielle Wert der Kunstwerke gleich NULL?

* Haben die ursprünglichen Eigentümer  diese Kunstwerke selbst auf „moralisch“ einwandfreie Weise  erworben?

* Worin würde sich eine Enteignung des aktuellen Eigentümers von der ehemals durch das Nazi-Regime vorgenommenen unterscheiden?

* Wie steht es mit dem „moralischen“ Eigentumserwerb in anderen Bereichen, mit dem Eigentumserwerb der röm. kath. Kirche, dem Eigentumserwerb des Adels um nur zwei Beispiele zu nennen?  Beide gehören zu den größten Grundbesitzern der Republik und haben ihre Besitzungen ausschließlich dem unmoralischen Auspressen ihrer ehemaligen „Untertanen“ zu verdanken.

Fragen dieser Art finden sich im Text von Frau Charim allerdings nicht. Als Erklärung dafür mag man die Kürze des Textes gelten lassen.

Nicht unwidersprochen gelten lassen sollte man aber die Tatsache, dass hier eine anerkannte Philosophin mit demagogischer Höchstleistung auf dem Gebiet der Polemik  ihre Leser glauben machen will, dass es so etwas wie  „moralische Kunstsinnigkeit“ und „moralische Rechtstitel“ gäbe.  Ihre „Sprach-Figuren“ vom „gestohlenen Blick“  und der „moralischen Kunstsinnigkeit“ sind auf den ersten Blick zwar rhetorisch brillant, sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen können, dass es sich um einen meines Erachtens unlauteren Kunstgriff der Polemik handelt.

Man kann nur hoffen, dass es niemals mehr zu einer Zeit kommt, in der „moralische Rechtstitel“  ihre Wirkung entfalten können. Wie es nämlich damit endet, wenn eine unbestimmte „Moral“ die demokratische Grundordnung und die von ihr hervorgebrachten Normen der Rechtsstaatlichkeit aushebelt, wird Frau Charim, da bin ich mir sicher, auch klar sein. Die abstrusen Ergebnisse einer unsäglich falschen Moralvorstellung der  Nazi-Zeit sind es nämlich, die uns hier in diesem Text beschäftigen. Die Forderung eine unbestimmte „Moral“ als Bewertungsmaßstab dazu heranzuziehen, um jemandes Kunstsinn zu belegen ist nicht weit von der Forderung entfernt, die jeweils eigene Moral zum Grundsatz staatlichen Handelns zu machen.

Es muss einen verwundern, wenn anstatt relevante Fragen der Moralität der Restitution, der Moral des Kunstmarktes und des Kunsthandels zu reflektieren, ein angeblich verdeckt vorhandenes aber rechtlich ohnehin wenig relevantes Unrechtsbewusstsein bei Herrn Gurlitt konstruiert wird, um einen etwaigen Anspruch zu begründen. Allein wegen der Tatsache, dass Herr Gurlitt selbst von „ Verweigerung der Rückgabe“ spricht, müsse man ihm, so wird behauptet, ein latent vorhandenes „Unrechtsbewusstsein“  attestieren. Wäre er „reinen Herzens“, hätte er das Wort „Herausgabe“ verwendet?  Dem hier Angegriffenen könnte man zugute halten, dass diese Formulierung die einzig logische Antwort auf die an ihn gerichteten Aufforderungen darstellt, die sich eindeutig immer auf eine „Rückgabe“ und nicht auf eine „Herausgabe“ bezogen. Hier ist die „Waffe“ stumpf.

Insofern wäre wünschenswert, würden sich die Gerichte  – um bei den Worten Charims zu bleiben – weniger um die Vermeidung eines   „gestohlenen Blicks“  als um die Vermeidung eines „verstellten Blicks“ bemühen. Es ist Aufgabe des Rechtsstaates die Sache in Ordnung zu bringen. Es ist Aufgabe der Philosophen auf grundsätzliche Schwierigkeiten hinzuweisen und praktikable Lösungsvorschläge für die Zukunft zu erarbeiten, die verhindern, dass das Unrecht der Vergangenheit sich in neues Unrecht der Gegenwart transformiert. Es sollte aber nicht Aufgabe des Philosophen sein, eigenen Vorlieben polemisch zum Durchbruch zu verhelfen.

Der hier kritisierte Originaltext von Frau Isolde Charim findet sich unter:

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ku&dig=2013%2F11%2F26%2Fa0099&cHash=3f596e85b6b621c0869363fd869ebdc0


[1] Walter Benjamin, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, Suhrkamp, Erste Auflage, S. 22; ursprünglich erschienen in Zeitschrift für Sozialforschung 1936