Kategorie: Zitate

Über die (Verfuehrungs-) Kraft von Ideen

„Jede Idee wird Wirklichkeit in den schmutzigen Fluten des Lebens; und diese Wirklichkeit kann um so größer sein, je mehr man auf der Reinheit der Idee besteht; um so schmutziger, je mehr die Führung das Schicksal der Idee mit ihren eigenen (Ideen? Anm.d.Verf.) identifizieren – mit ihren Wünschen, ihrem Ehrgeiz, ihrem Leben, ihrer sogenannten Verantwortung vor der Geschichte. Als Vertreter von Ideen hört der Mensch nicht auf, der Sklave seiner menschlichen Eigenschaften zu sein: die Geschichte wimmelt von Revolutionären, die nur um ihres eigenen Ehrgeizes willen jedes Maß und Ziel verloren haben.“

Milovan Djilas, Die unvollkommene Gesellschaft, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt, 1969, S. 220

„Partisan der Geistesfreiheit“

Zum Gedenken an Ernst Topitsch

Während einer durchschnittlichen Studiendauer an öffentlichen Bildungseinrichtungen ist man einigen Einflüssen, positiven wie negativen, ausgesetzt, die auch später noch, wenn man diese Institute schon lange verlassen hat, in einem nachklingen. Zumindest dann, wenn man es geschafft hat, sich wenigstens eine geringe Portion von Selbstreflexion anzutrainieren. Einer dieser ganz gravierenden, um nicht zu sagen prägenden Einflüsse, die meine Gedanken bis heute nachhaltig und wie ich meine positiv beeinflussen, verdanke ich Karl Acham, den ich an der Karl-Franzens-Universität in Graz, am Institut für Soziologie, als Lehrer erleben durfte. Seine Scharfsichtigkeit und ungetrübte Kritikfähigkeit gründeten und gründen sich auf ein unerschütterliches Fundament, das man im positivst – humanistischen Sinn als „umfassende Bildung“ bezeichnen kann. So es jemals so etwas gegeben haben mag, was Karl Mannheim als „freischwebende Intelligenz“ bezeichnet hat, so träfe das für die Geisteshaltung Karl Achams wohl ebenso zu, wie es für Ernst Topitsch – um den es im Folgenden gehen wird – zu behaupten angebracht wäre.

Es war ein Glücksmoment, der mir – wenn ich mich richtig erinnere – im Jahr 2013 beim Durchstöbern der Online-Ausgabe der Wiener Zeitung einen Artikel Karl Achams zur Kenntnis brachte, der dem Andenken eines bedeutenden Philosophen, der zudem an der Grazer Universität wirkte, gewidmet war. Es geht um einen außerordentlichen und äußerst umstrittenen Mann, dessen Bücher jedem kritischen Geist für das eigene Wachstum reichlich Nahrung bescheren. Da meine persönlichen Begegnungen mit dem hier Vorgestellten, tatsächlich nur „Begegnungen“ im wahrsten Sinn des Wortes: solche im Vorübergehen waren, ich durfte ihn leider nie als Lehrer erleben, beschränke ich mich darauf, einige Gedanken aus Karl Achams Text – wenn auch verkürzt und weniger elegant, als er es zu formulieren wusste, aufzunehmen und darzustellen.

Ernst Topitsch, um den es hier gehen soll, war ein international anerkannter Geistes- und Sozialwissenschaftler, der von verschiedensten weltanschaulich-politischen Lagern negativ (und damit wohl auch höchstwahrscheinlich grundfalsch) beurteilt wurde. Einmal galt Topitsch seinen Gegnern als „gefährlicher Marxist“, wie der katholische Existenzphilosoph Gabriel Marcel bei den Alpacher Hochschulwochen 1957 meinte, dann stand er den einen zu „rechts“, (vielleicht deswegen, weil er auch in der „Aula“ publizierte, siehe Wikipedia) dann war er bloß zu konservativ. Während die einen ihn für einen Marxisten hielten, wurde er von sowjetischer Seite als „feiger Nihilist des heroischen Positivismus“ bezeichnet. Zur Zeit der sogenannten Studentenrevolte hielt man ihn für „reaktionär“, und nicht zuletzt fand er auch noch Eingang in das „Handbuch Rechtsextremismus 1993“. „Es waren wohl die Blockwarte der geistigen Observanz, die ihm nicht nur zuwider, sondern auch so zugetan waren, dass er 1995, im Zusammenhang mit den Brief- und Rohrbombenattentaten der später als Franz Fuchs enttarnten „Bajuwarischen Befreiungsarmee“, eine polizeiliche Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste.“, schreibt Karl Acham, unter dem Titel “Partisan der Geistesfreiheit“ in seinem Aufsatz.

Diese Angriffe, die Topitsch von allen Seiten bedrängten, machen ihn für mich nicht nur interessant, sondern sogar liebenswert. Insofern fühle ich eine geistige Verwandtschaft zu ihm, ohne mich vergleichen zu wollen, Topitsch war ein brillanter Denker und ein Wissenschaftler von internationalem Rang. Er veröffentlichte 14 Bücher und rund 150 Aufsätze.

Besonders eindrücklich die Sammlung „Studien zur Weltanschauungsanalyse“ (1996). Er selbst hielt die letzte Version seines Buches „Erkenntnis und Illusion“ (1988) für seine bedeutsamste Publikation; für andere liegen seine Stärken eher in der Sozialphilosophie (siehe „Sozialphilosophie zwischen Ideologie und Wissenschaft“, 1971) und Ideologiekritik (Gottwerdung und Revolution“, 1973).

Acham meint, Topitsch sei nach eigenem Bekunden besonders durch die Schriften und geistigen Haltungen von Thukydides, David Hume, Vilfredo Pareto und Max Weber beeinflusst gewesen. Wegweisend seien für ihn auch Freuds Analysen von Kultur und Religion so wie die Beschäftigung mit dem Logischen Empirismus und der genetischen Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz.

Vor allem seine Arbeiten in den frühen 1950er Jahren über das Naturrecht und den Historismus haben Topitsch in heftige Diskussionen verstrickt.

So bedienen sich, wie Topitsch in seinem berühmten Aufsatz „Über Leerformeln“ (1960) etwa am Begriff „Dialektik“ oder „Ganzheit“ zeigt, mehrere einander bekämpfende Gruppen sogar der gleichen Prestigewörter, welche dann oft, gemeinsam mit pseudotheoretischen Erklärungen, eine bedeutende Rolle im politischen Leben zukommt. Das begrifflich und theoretisch vielfach unbestimmte Schrifttum von Hegel wird dabei von ihm gleichermßen kritisch in Betracht gezogen wie einige hochgradig alerte Wendungen bei Karl Marx, Ernst Bloch, Jürgen Habermas und Carl Schmitt,[…].“

Vor allem eine seiner letzten Publikationen „Stalins Krieg“ (1985, 1998), in der Topitsch darstellte, dass es sich im Jahr 1941 um einen Zusammenprall zweier Stoßrichtungen totalitärer Eroberungspolitik handelte, wobei der eine Aggressor dem anderen um eine nicht sehr große Zeitdifferenz zuvorgekommen ist, hatte „statt ernsthafter Diskussion oft nur höhnische und auch hasserfüllte Reaktionen zur Folge. […] Diese Darstellung der Sachlage kommt in den Augen bestimmter Vertreter der Zeitgeschichteforschung geradezu einem Sakrileg gleich.

Das Abweichen seiner Forschungsergebnisse vom „historischen Grundkonsenstrug maßgeblich dazu bei, dass Topitsch einen Teil seiner Publikationsmöglichkeiten verlor. Topitsch blieb sich aber dennoch treu und „sah es als eine Sache der intellektuellen Redlichkeit an, „die Illusionisten aufzuklären, die Hypokriten zu entlarven, die präsumptiven Opfer zu warnen und so die Freiheit zu schützen.“

Es ist für jeden kritischen Geist überaus lohnend, so sei abschließend festgehalten, sich intensiv und ernsthaft mit den Forschungsergebnissen von Ernst Topitsch zu beschäftigen; man muss ihm ja nicht überall kritiklos zustimmen, was ihm auch nie gefallen hätte; aber einen offenen Geist vorausgesetzt, wird man dabei in jedem Fall eine Fülle von Erkenntnissen gewinnen, die das eigene Bild ungemein zu bereichern im Stande sind. Als mein Lieblingsbuch darf ich „Überprüfbarkeit und Beliebigkeit, Die beiden letzten Abhandlungen des Autors“, Herausgegeben von Karl Acham, Böhlau, 2005, empfehlen. Keinesfalls sollte man sich leichtfertig und ohne sich ein eigenes Bild zu machen, jenen Meinungen anschließen, die Ihn als „Rechtsextremisten“ abstempeln, um sich nicht mit seinen Thesen auseinandersetzen zu müssen. Das wird weder seinen Leistungen gerecht, noch dem, was man als Versuch einer objektiven Wissenschaftlichkeit im Sinne Max Webers verstehen sollte.

PS.: Die kursiv gestellten Textteile sind Zitate aus dem oben erwähnten Aufsatz von Karl Acham, seit 2008 emeritiert, er lehrte Soziologie und Philosophie an der Univ. Graz, hatte zahlreiche Gastprofessuren im Ausland und ist Träger des Österr. Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst

Alles ändert sich und bleibt doch wie es ist

Wie wenig sich doch Zeiten und „mores“ ändern! Egon Friedell schreibt über die Verhältnisse während der ital. Renaissance folgendes:

„Wir müssen, wenn wir die Schilderungen jener Schandtaten lesen, bei allem moralischen Schauder dennoch die Grazie, die Wohlerzogenheit, die Formvollendung, man möchte fast sagen: den Takt bewundern, mit dem die Leute sich damals hintergingen, auspluenderten und umbrachten. Der Mord gehörte damals ganz einfach zur Ökonomie des Daseins, wie heutzutage ja auch noch die Lüge zur Ökonomie des Daseins gehört. Unser Zeitungswesen, unser Parteiwesen, unsere politische Diplomatie, unser Geschäftsverkehr: dies alles ist auf einem umfassenden System der gegenseitigen Belügung, Übervorteilung und Bestechung aufgebaut. Niemand findet etwas daran. Wenn ein Politiker aus Gründen der Staatsraison oder im Interesse seiner Partei einem anderen Zyankali in die Schokolade schütten wollte, so würde die ganze zivilisierte Welt in Entsetzen geraten, daß aber ein Staatsmann aus ähnlichen Motiven betrügt, Tatsachen fälscht, heuchelt, intrigiert: das finden wir ganz selbstverständlich.“

Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, der dieser Text entstammt, ist erstmals 1927, in drei Bänden, erschienen. Wen wundert es, dass sich seither offensichtlich wenig geändert hat? Egal für welche Partei, welche Interessensvertretung man sich entscheidet, an deren Spitze stehen in der Mehrzahl „Spitzbuben“!

Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, C.H.Beck, 3.Auflage, 2012, S 227 – zur Lektüre wärmstens empfohlen

Humanität oder Dummheit?

Den nachfolgenden Text von Imad Karim, (den ich als Person nicht kenne und daher pol. auch nicht einordnen kann, – und von dem ich bisher auch keine Kenntnis hatte) habe ich eben auf fb geteilt. Es geht eigentlich auch nicht um ihn als Person, sondern um den Text, dem ich übrigens zustimme. Wegen der Dringlichkeit der Sache, möchte ich diesem Text  auch hier Platz geben:

Imad Karim: Das habe ich gerade bei „ZDF heute“ geschrieben:
BITTE NICHT VERGESSEN, BEIM TEILEN, MEINEN KOMMENTAR MIT ZU KOPIEREN,
Humanität, ethische, moralische und menschliche Grundsätze bilden das Fundament, auf dem eine Zivilgesellschaft steht. Diese Grundsätze verleihen ihr die ebenfalls moralische Kraft, mutige Entscheidungen zu treffen und auch diese umzusetzen. Dennoch darf sich die Humanität nicht zu einer neuen „Religion“ entwickeln und sie muss immer wieder kritisch hinterfragt werden. Humanität darf auch nicht erpressbar sein, denn im Moment wo Humanität von inhumanen Kräften genötigt wird, wird sie zu einem toten Vehikel von Appeacement und gibt sich auf.
Human handeln bedeutet, sich dem Anderen gegenüber human zu zeigen und nicht das eigene Ego zu befriedigen.
Wer solche Fragen, wie die folgenden nicht stellt, will keine Lösung, sondern sich selbst „etwas gutes“ tun:
<> Warum gibt es unbegleitete Kinder an der türkisch-griechischen Grenze oder in den camps auf den griechischen Inseln und wer hat sie dorthin gebracht?
<> warum gehen diese Syrer nicht nach Syrien zurück und leben mit ihren Landsleuten in ihrer angestammten zu 95% befreiten Heimat? Glaubt jemand, dass das Assad-Regime diese über eine Million auswanderungswilligen Bewohner Idlibs verhaften will?
<> warum spricht man das Problem nicht mit dem richtigen Namen an? Die Menschen kommen, weil sie sich für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft erhoffen. Das ist legitim, aber ist das legal und ist das vor allem mittel-und langfristig legal und hilfreich? Wie lange kann der mit dem Schweiß der hartarbeitenden Menschen in Deutschland aufgebaute Sozialstaat Zuwendungen in Milliardenhöhe ausgeben und wird nicht so sein, was bereits der Fall ist, dass jeder nach Deutschland umgesiedelte Migrant mindesten 10.000 Nachahmer animiert, denselben Weg zu gehen?
<> warum fliehen hauptsächlich Menschen aus islamischen Ländern und warum ist den Menschen dort trotz Reichtum in den letzten 100 Jahren trotz der reichen ölreserven nicht gelungen, eine Zivilgesellschaft und funktionierte Verwaltung aufzubauen? Hat das vielleicht mit dem Islam zu tun und sind das vielleicht die selben Gründe, die diese Menschen daran hindert, sich mehrheitlich in den westlichen Gesellschaften zu integrieren?
<> warum sind dieselben plötzlich entschlossenen „Flüchtlinge“ ganz zahm und zurückhaltend, wenn sie in der Türkei leben? Warum versuchen sie nicht, die Grenzen der Golfstaaten zu durchbrechen?
<> warum und wie können diese Migranten, von den Medien „Flüchtlinge“ umgetauft, so aggressiv sein und mit Allah-Akbar-Gebrülle griechische Polizisten mit Steinen und Rauchbomben bewerfen? Und hat sich jemand überlegt, was das bedeuten wird, wenn diese Menschen ihren Eunreisewillen mit Gewalt durchsetzen, was sie später in ihrem Gehirn speichern werden? Sie werden sich merken, dass mit Einsatz von Gewalt alles möglich ist und so werden sie sich in den Aufnahmeländern verhalten und man stelle sich vor, irgendeine finanzielle Krise bricht, sei es durch einen Virus oder durch eines anderen Ereignis aus und die monatlichen Zuwendungen des sozialen Wohlfahrtsstaates bleiben aus, was glaubt man, wie sich diese „Grenzen-Widerstandskämpfer“ tun werden?
Erpressbare Humanität und Abhebung von Moral übers Recht führen zum Verlust der Humanität, der Moral und auch des Rechtes.
Ein ungewolltes Chaos bleibt ein Chaos, aber das wollen die friedensverwöhnten Menschen in Deutschland nicht begreifen.
Vielleicht ist es eine Dialektik der Geschichte, dass Überhöhung und das exklusive verpachten von Moral die wesentlichen Gründe für den Untergang einer Hochkultur stets sind, wer weiß? Ich weiß!!!

Hamed Abdel-Samad

Das Misstrauen, die gegenseitigen Schuldzuweisungen und Gewalt schaukeln sich auf. Das ist mehr als bedenklich.

In der Rückschau auf diverse Bürgerkriege in der Welt, wie auch auf die bewaffneten Auseinandersetzungen in Österreich der 1930er Jahre,  scheint uns vieles am Verhalten der damals handelnden Menschen unverständlich. Der Mensch soll aus der Geschichte lernen, heißt es. Auch das Umgekehrte gilt: Die aufmerksame Beobachtung der Gegenwart bietet manchmal den Schlüssel zum Verständnis der Vorgänge in der Vergangenheit.

Der nachfolgende Text, den Hamed Abdel Samad heute auf FB gepostet hat, beschreibt nicht nur die aktuelle Situation treffend, er mahnt auch zur Besonnenheit, deswegen sei er hier wiedergegeben.

Zitat:
„Solange jede Seite den Hass und die Gewalt der anderen thematisiert, aber zum Hass und zur Gewalt in den eigenen Reihen schweigt oder diese relativiert, werden wir das Problem nicht lösen. Sie erkennen nicht, dass Hass an sich das Problem ist, nicht nur der Hass der aus der anderen Seite kommt. Das tun leider die Rechten, die Linken, die Mitte und die Muslime. Man muss nur die Reaktionen der Rechten nach einem islamistischen Anschlag und ihre Reaktionen nach einem rechtsradikalen Anschlag mit einander vergleichen. Hier Empörung, dort Relativierung oder Schweigen. Auf rechtsradikale Anschläge wiederum reagieren viele Muslime mit Empörung und sehen den Täter oft als Vertreter des Westens, der den Islam und alle Muslime vernichten will. Ist der Täter selber Muslim, der Koranpassagen als Rechtfertigung seines Anschlags benutzte, dann ist er ein Einzeltäter, der mit dem Islam nichts zu tun hat. Dieser Einschätzung folgen oft die Linken und die Mitte, und glauben dadurch schützen sie Muslime vor Hass und Ausgrenzung. Dabei werden mehr Menschen skeptisch gegenüber Muslime, wenn man solche Taten verharmlost.
Alle hassen die anderen, weil sie Hass verbreiten. Aber den eigenen Hass sieht jede Seite nur als heiligen Zorn, der eine Legitimation hat. Alle wollen den Hass identitär bekämpfen, wir gegen die anderen. Alle glauben, sie würden den Hass bekämpfen, indem sie die anderen ächten und sich über deren Hass empören. Dadurch schaukeln sie sich aber gegenseitig hoch und es gibt dadurch noch mehr Hass. Denn die Empörung der anderen wirkt wie ein Rauschmittel für die kritisierte Seite, die wiederum für die Kritiker nur Verachtung übrig hat.
Wut ist eigentlich ein Ersatzgefühl, das die Gefühle von Angst und Gebrochen-Sein verdecken sollte, denn keiner gibt gerne zu, dass er unsicher ist. Wer sich seine Identität oder seiner Position sicher ist, braucht nicht zu brüllen oder sich mit dem Konflikt zu identifizieren. Die Rechten, die Linken, die Mitte und die Muslime sind unsicher und gebrochen. Sie suchen die Heilung in der Anfeindung mit den anderen, weil sie zu ihrem Gebrochen-Sein nicht stehen wollen, und den langen Weg der Selbstvergewisserung durch Ehrlichkeit und Reflexion nicht gehen wollen. Sie suchen die Lösung im Konflikt, doch der Konflikt ist oft nur eine Ablenkung vom eigenen Versagen!
Es ist Zeit, verantwortungsethisch zu handeln und gegen den Hass zu kämpfen, egal aus welcher Seite er kommt, und egal wie er sich verkleidet. Es gibt keinen guten und keinen schlechten Hass, denn der Hass ist das Mittel derer, die weder Selbstbewusstsein noch Konzepte haben!“

Wie groß ist der ideale Staat?

…[…] der beste Maßstab für einen Staat ist: die höchste Anzahl der Einwohner, die noch überschaubar bleibt und eine Leben in Autarkie ermöglicht. […] Diese Art von Staat existiert in zahlreichen Schweizer Kantonen, und nur dort können wir die überlieferte und eingewurzelte Einrichtung der Demokratie finden. Die Kantone sind so klein, daß ihre Probleme von jedem Kirchturm aus überblickt und daher von jedem Bauern ohne verwirrende Hilfe tiefgründiger Theorien und außergewöhnlicher Wahrsager gelöst werden können. Die moderne Technik hat jedoch die Auffassung darüber geändert, was sich auf einen Blick erfassen läßt, und dehnte damit die Bevölkerungsgrenze für gesunde und funktionierende Gesellschaften von einigen hunderttausend auf acht bis zehn Millionen aus.“ ( 172)

Kohr-Kleinstaaterei neu

Und doch schreiben uns unsere Lehrmeister gerade den Vereinigungsprozeß vor. Zerquetscht von dem intellektuell tödlichen, aber die Gefühle ansprechenden Gewicht großer physischer Macht, haben sie die Dolche der Verachtung gegen das Kleine gezückt und alles, was Größe, Umfang oder Masse hat, auf glitzernde Altäre gestellt. Sie haben uns überredet, das Kolossale anzubeten, und waren erstaunt, daß wir Hitler anbeten, der nichts war – außer kolossal. Sie haben die enorme Größe des römischen Imperiums bis in den Himmel gelobt und waren dann erstaunt, daß wir Mussolini, wie die alten Cäsaren, anbeten – die nichts waren, außer enorm.“ (178)

 

André Gide

Ich glaube an die Tugend kleiner Nationen.“

 

Zitate entnommen: Leopold Kohr, Das Ende der Großen, Zurück zum menschlichen Maß, Otto Müller Verlag, 4. Auflage, Salzburg-Wien 2017

 

Über die Anbetung des Geldes

„Der wahrhaft Geldgläubige verehrt das Geld nicht, weil man sich damit alles kaufen kann, sondern weil es seine höchste Instanz, sein Polarstern, der Sinngeber seines Daseins ist. Man wird zugeben müssen, daß dies kein kompakter roher Aberglaube nach Art der Fetischisten und Wallfahrer ist, sondern ein Götzendienst von hoher Sublimationskraft, kein einfacher Materialismus, sondern die Prostration vor einem geistigen Prinzip, wie ja auch der Teufel eines ist. Und alsbald erheben sich in den Städten mächtige Hauptheiligtümer namens Börsen und Scharen kleiner Tempel, Banken genannt; in ihnen wird etwas Magisches, Allmächtiges, Allgegenwärtiges, aber Unsichtbares angebetet; vorgeblich eingeweihte Priester (meist freilich Ignoranten oder Betrüger) verkünden seinen Willen; zahllose Gläubige bringen opferfroh ihre Habe dar, in heiliger Scheu unverständliche Beschwörungsformeln einer fremden Sprache murmelnd. Das Credo ist zum Credit geworden.“

(Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, C.H.Beck, 3.Auflage, München 2012, S. 1036 f.)

Wir Heimatlosen

Es fehlt unter den Europäern von heute nicht an solchen, die ein Recht haben, sich in einem abhebenden und ehrenden Sinne Heimatlose zu nennen, – ihnen sei meine geheime Weisheit und gaya scienza ausdrücklich ans Herz gelegt! Denn ihr Los ist hart, ihre Hoffnung ungewiss, es ist ein Kunststück ihnen einen Trost zu finden – aber was hilft es! […]

Wir sind keine Humanitarier; wir würden uns nie zu erlauben wagen, von unsrer „Liebe zur Menschheit“ zu reden. – dazu ist unsereins nicht Schauspieler genug. […]

„Nein, wir lieben die Menschheit nicht; andererseits sind wir aber auch lange nicht „deutsch“ genug, wie heute das Wort „deutsch“ gang und gäbe ist, um den Nationalismus und dem Rassenhaß das Wort zu reden, um an der nationalen Herzenskrätze und Blutvergiftung Freude haben zu können, derenthalben sich jetzt in Europa Volk gegen Volk wie mit Quarantänen abgrenzt, absperrt. Dazu sind wir zu unbefangen, zu boshaft, zu verwöhnt, auch zu gut unterrichtet, zu „gereist“: wir ziehen es bei weitem vor, auf Bergen zu leben, abseits, „unzeitgemäß“, in vergangnen oder kommenden Jahrhunderten, nur damit wir uns die stille Wut ersparen, zu der wir uns verurteilt wüßten als Augenzeugen einer Politik, die den deutschen Geist öde macht, indem sie ihn eitel macht, und kleine Politik außerdem ist: – hat sie nicht nötig, damit ihre eigene Schöpfung nicht sofort wieder auseinanderfällt, sie zwischen zwei Todeshasse zu pflanzen? muß sie nicht die Verewigung der Kleinstaaterei Europas wollen?… Wir Heimatlosen, wir sind der Rasse und Abkunft nach zu vielfach und gemischt, als „moderne Menschen“, und folglich wenig versucht, an jener verlognen Rassen-Selbstbewunderung und Unzucht teilzunehmen, welche sich heute in Deutschland als Zeichen deutscher Gesinnung zur Schau trägt und die bei dem Volke des „historischen Sinns“ zwiefach falsch und unanständig anmutet. Wir sind mit Einem Worte – und es soll unser Ehrenwort sein!- gute Europäer, die Erben Europas, die reichen, überhäuften, aber auch überreicht verpflichteten Erben von Jahrtausenden des europäischen Geistes: als solche auch dem Christentum entwachsen und abhold, und gerade, weil wir aus ihm gewachsen sind, weil unsre Vorfahren Christen von rücksichtsloser Rechtschaffenheit des Christentums waren, die ihrem Glauben willig Gut und Blut, Stand und Vaterland zum Opfer gebracht haben. Wir – tun desgleichen. Wofür doch? Für unsren Unglauben? Für jede Art Unglauben? Nein, das wißt ihr besser, meine Freunde? Das verborgne Ja in euch ist stärker als alle Neins und Vielleichts, an denen ihr mit eurer Zeit krank seid; und wenn ihr aufs Meer müßt, ihr Auswanderer, so zwingt dazu auch euch – ein Glaube!…

Friedrich Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, Phaidon, 147 / 377; Band 2, S.119f

Durchgeknallter Türkenpascha!

Heiko Heinisch - Nina ScholzDarüber, was sich derzeit in der Türkei „abspielt“, kann man eigentlich nur mehr verwundert den Kopf schütteln. (Deswegen auch der bewusst provokant gehaltene Titel.)

Dass es auch bei uns im Lande eine große Anzahl von Türken und Doppelstaatsbürgern gibt, die die Politik Erdogans schätzen und sogar aktiv unterstützen wollen, indem sie die verbrieften Freiheiten unserer Demokratie benützen, um für ein totalitäres Regime Stimmung zu machen, stimmt nachdenklich. Man sieht, wie groß der Irrtum war, dem jene aufsaßen, die glaubten, man könne Menschen aus traditionellen, islamischen Kulturen innerhalb weniger Jahre in das westliche System integrieren, ohne mit „Rückschlägen in Form von Parallelgesellschaften“ rechnen zu müssen. Es steht einiges an Integrations- und Bereinigungsarbeit bevor.

Der nachfolgende Text,  von Nina Scholz auf fb als Kommentar veröffentlicht,  verdient wegen seiner wohldurchdachten Treffsicherheit Verbreitung, deswegen sei er auch hier in meinem Blog als Zitat dargestellt. Zu den letzten „Entgleisungen“ des türkischen Staatschefs schreibt sie:

„Diplomatie ist zweifelsohne wichtig und nötig, ganz besonders dort, wo Meinungsunterschiede vorhanden sind. Aber sie hat eine Grenze. Diese verläuft dort, wo eine Seite die andere mit dem Leben bedroht. Das ist mit Erdoğans jüngster Ansage der Fall: „Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können.“
Das ist eine knallharte Drohung, die im Umgang von Staaten miteinander ihresgleichen sucht und die wir bisher nur von der Hamas-Regierung gegenüber Israel und vom IS gegenüber uns Europäern, Westlern und dem Rest der Welt, auch gern „Ungläubige“ genannt, kennen, und die sich in diesen Tagen ein weiteres Mal auf tragische Weise in Terrorattacken niederschlägt. Diese Drohung ist der Punkt, an dem der Abbruch diplomatischer Beziehungen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch sinnvoll ist. Appeasement und Zugeständnisse führen (und das zeigt nicht nur die Geschichte, sondern gebietet auch die Vernunft) in einem derartigen Fall von Selbstherrlichkeit, Herrenmenschentum („Die Türkei befiehlt – ihr könnt höchstens um etwas bitten“), von Persönlichkeitsstrukturen, wie sie Erdoğan oder Çavuşoğlu aufweisen, zu nichts, aber auch rein gar nichts. So schwer es manchen fällt, von Illusionen Abstand zu nehmen und vielleicht auch die Verblendung, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, zu überwinden: Mit der derzeitigen türkischen Regierung und ihrer leider viel zu großen Anhängerschaft ist keine sinnvolle Zusammenarbeit möglich. Auch das viel beschworene Aufeinander- Angewiesensein von EU und Türkei ist keine Einbahnstraße. Die Türkei hat einiges zu verlieren. Die europäischen Ländern sollten nach dieser Drohung ihre Botschaftsangehörigen abziehen (die angesichts stetiger Eskalation ohnehin nicht mehr sicher sind) und gemeinsam sehr klare Ansagen machen. Und das hat, nebenbei gesagt, auch etwas mit Würde zu tun.“

Nur der Ordnung halber sei angemerkt, dass ich die Aussagen dieses Textes vollinhaltlich unterstütze.

Literaturtipp: Nina Scholz und Heiko Heinisch, Europa, Menschenrechte und Islam, Passagen Verlag, 2012)

Die Fabel vom guten Menschen

Kurt Schwitters Kurt Schwitters (* 20. Juni 1887 in Hannover; † 8. Januar 1948 in Kendal, Cumbria, England) war ein deutscher Künstler, Maler, Dichter und Werbegrafiker, der unter dem Kennwort MERZ ein dadaistisches „Gesamtweltbild“ entwickelte.[1] Im Bereich der Installation und Raumkunst war er ebenfalls tätig. Seine Werke umfassen die Stilrichtungen Konstruktivismus, Surrealismus und Dadaismus, dem sie aber nur durch Gegensätzlichkeit ähnlich waren. Aus heutiger Sicht zählt Schwitters zu den einflussreichsten Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts. Quelle Wikipedia
Kurt Schwitters
 (* 20. Juni 1887 in Hannover; † 8. Januar 1948 in Kendal, Cumbria, England) war ein deutscher Künstler, Maler, Dichter und Werbegrafiker, der unter dem Kennwort MERZ ein dadaistisches „Gesamtweltbild“ entwickelte.[1] Im Bereich der Installation und Raumkunst war er ebenfalls tätig. Seine Werke umfassen die Stilrichtungen Konstruktivismus, Surrealismus und Dadaismus, dem sie aber nur durch Gegensätzlichkeit ähnlich waren. Aus heutiger Sicht zählt Schwitters zu den einflussreichsten Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts.
Quelle Wikipedia
Es war einmal ein guter Mensch, der freute sich seines Lebens. Da kam eine Mücke geflogen und setzte sich auf seine Hand, um von seinem Blut zu trinken.

Der gute Mensch sah es und wusste, daß sie trinken wollte; da dachte er: „Die arme kleine Mücke soll sich einmal satt trinken“, und störte sie nicht.

Da stach ihn die Mücke, trank sich satt und flog voller Dankbarkeit davon. Sie war so froh, daß sie es allen Mücken erzählte, wie gut der Mensch gewesen wäre, und wie gut sein Blut geschmeckt hätte.

Da wurde der Himmel schwarz von Mücken, die alle den guten Menschen sehen und sein gutes Blut trinken wollten.

Und sie stachen und stachen ihn und tranken und tranken, und wurden nicht einmal satt, weil es ihrer zu viele waren.

Der gute Mensch aber starb.

Kurt Schwitters

 

 

Entnommen: Konrad Paul Liessmann, Der gute Mensch von Österreich, Essays 1980-1995, 2. Auflage, Sonderzahl, Wien 1996)