Alles ändert sich und bleibt doch wie es ist

Wie wenig sich doch Zeiten und „mores“ ändern! Egon Friedell schreibt über die Verhältnisse während der ital. Renaissance folgendes:

„Wir müssen, wenn wir die Schilderungen jener Schandtaten lesen, bei allem moralischen Schauder dennoch die Grazie, die Wohlerzogenheit, die Formvollendung, man möchte fast sagen: den Takt bewundern, mit dem die Leute sich damals hintergingen, auspluenderten und umbrachten. Der Mord gehörte damals ganz einfach zur Ökonomie des Daseins, wie heutzutage ja auch noch die Lüge zur Ökonomie des Daseins gehört. Unser Zeitungswesen, unser Parteiwesen, unsere politische Diplomatie, unser Geschäftsverkehr: dies alles ist auf einem umfassenden System der gegenseitigen Belügung, Übervorteilung und Bestechung aufgebaut. Niemand findet etwas daran. Wenn ein Politiker aus Gründen der Staatsraison oder im Interesse seiner Partei einem anderen Zyankali in die Schokolade schütten wollte, so würde die ganze zivilisierte Welt in Entsetzen geraten, daß aber ein Staatsmann aus ähnlichen Motiven betrügt, Tatsachen fälscht, heuchelt, intrigiert: das finden wir ganz selbstverständlich.“

Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, der dieser Text entstammt, ist erstmals 1927, in drei Bänden, erschienen. Wen wundert es, dass sich seither offensichtlich wenig geändert hat? Egal für welche Partei, welche Interessensvertretung man sich entscheidet, an deren Spitze stehen in der Mehrzahl „Spitzbuben“!

Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, C.H.Beck, 3.Auflage, 2012, S 227 – zur Lektüre wärmstens empfohlen

Das „Embargo“

Europas Politiker drohten Russland vor mehreren Monaten mit Sanktionen! Wir erinnern uns? Man wolle weder Gas noch Öl kaufen, die wirtschaftlichen Beziehungen beschränken, um Putins Kriegskasse zu schwächen. So hieß es. Und auch die Mehrheit der österreichischen Politiker war dafür, sich diesen Sanktionen anzuschließen, wenngleich hinsichtlich eines Gasembargos von den Österreichern wegen der starken Abhängigkeit, Österreich bezieht 80% seines Gases von Russland, immer Vorbehalte geäußert wurden. Soweit die Vorgeschichte.

Nun, einige Monate später, verringert Russland von sich aus die Öl- und Gaslieferungen an europäische Kunden, die Preise für Energie steigen daraufhin gerade in astronomische Höhen, Putins „Kriegskasse“ ist höchstwahrscheinlich gefüllter denn je, und Europas Wirtschaft droht der Kollaps. Soviel zur europäischen Antikriegsstrategie. Wäre ich böswillig, würde ich das als einen „Schuss ins europäische Knie“ bezeichnen.

Was, denke ich mir angesichts der prekären Lage, in der wir uns nun befinden, haben sich Europas Politiker eigentlich gedacht, als sie Putin mit einem Öl- und Gasembargo drohten? Und warum fragt sie keiner der „Topjournalisten“ danach in den Medien?

War Aristoteles ein Faschist?

War Aristoteles ein Faschist?

Bis vor Kurzem hätte mich diese Frage vielleicht sogar empört, und ich hätte sie ohne Zweifel mit einem eindeutigen und überzeugten „Nein“ beantwortet. Vor wenigen Tagen fand ich jedoch die unten folgende Textstelle, die mich einigermaßen verwunderte, weil ich diesem wichtigen griechischen Philosophen bisher nur in positiven Konnotationen begegnet bin. Wiederum zeigt sich die „Gefährlichkeit“ von Halbwissen. Es gilt, was immer gilt: Man hüte sich vor strikten Urteilen, solange man nicht sicher ist, über genügend Informationen zu verfügen. Und: Man lernt nie aus!

„Es gibt Menschen, die befähigt sind, Anweisungen zu geben, und solche, die geeignet sind, sie auszuführen.[…] Zu Herren sind vor allem die Griechen bestimmt, während die nichtgriechischen Völkerschaften, von den Griechen Barbaren genannt, sich insbesondere zu Sklaven eignen.“ (Vgl. Pol.I 4-6)

Mit den Maßstäben unserer Zeit gemessen, die als Kennzeichen des Faschismus u.a. das Postulieren einer „Herrenrasse“ nennt, die von Natur aus berufen und befähigt ist, alle anderen (niederen) Rassen zu dominieren, müsste man ihn wohl so einordnen!

Dieses Beispiel zeigt aber auch einmal mehr, wie schwierig es für nachfolgende Generationen ist, historische Personen und Ereignisse angemessen zu beurteilen, wenn dabei aktuell geltende ethische Maßstäbe angelegt werden.

Quelle: „Politische Philosophie“, Ein Lesebuch, Texte, Analysen, Kommentare, Rowohlts Enzyklopädie, 1984, Hg. Burghard König, S. 70

Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei

„Stellvertreterkrieg“ – Oligarchen sind unsterblich

Seit Wochen sterben in der Ukraine Menschen im Krieg! Russen und Ukrainer!

Die einen sagen, die Ukrainer sterben für die Demokratie, die anderen sagen, sie sterben für den gesamten Westen, für die „westlichen Werte“, sie sterben daher auch für „uns“, sagen sie.

Vielleicht sterben alle diese Menschen aber nur, damit in der Ukraine nicht russische Oligarchen, sondern ukrainische Oligarchen regieren? Ich glaube nicht, dass es um Demokratie geht und auf das einfache Volk ist es bekanntlich noch nie angekommen! Außer beim „heldenhaften“ Sterben, da benötigt man es.

„Das Böse ist immer und überall!“

Um Missverständnissen vorzubeugen, sei festgestellt, dass ich den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteile. Es gibt keine moralisch haltbare Rechtfertigung dafür, einen diplomatisch lösbaren, politischen Konflikt militärisch auszutragen, Menschen in den Tod zu treiben, dabei ein ganzes Land in Schutt und Asche zu legen und Millionen zur Flucht zu zwingen!

Ich glaube auch, dass die Europäische Gemeinschaft dem Aggressor Russland mit zivilen Mitteln zeigen muss, dass sie sich dagegen stellt. Dies sollte aber für j e d e n Aggressor gelten, unabhängig davon, ob er uns „sympathisch“ ist oder nicht, unabhängig davon, ob das bedrohte Land nahe liegt oder weit entfernt ist, unabhängig davon, ob uns die dortigen Gebräuche und Sitten gefallen oder nicht.

Es wird kaum jemand Beispiele amerikanischer Künstler oder Konzerne nennen können, die anlässlich der vielen von den USA zu verantwortenden Kriege seit 1945 von europäischen Staaten oder europäischen „Kulturträgern“ boykottiert wurden! Wurden jemals Liefer- oder Handelsverträge europäischer Staaten mit den USA wegen deren Kriege aufgekündigt? Gab es jemals europäische Sanktionen wegen „ungerechtfertigter Kriegsführung“ gegen die USA? Wurden von europäischen Banken jemals amerikanische Vermögenswerte „eingefroren“ oder Yachten amerikanischer Milliardäre festgesetzt?
Warum also behandeln wir russische Künstler und andere Russen, denen man keine persönliche Schuld an den Ereignissen zuweisen kann, wie Schuldige, während wir die amerikanische Seite beständig schonen? Nur deswegen, weil Amerika seine Kriege in anderen Erdteilen führte? Sind uns diese Menschen einfach weniger wert, weil sie uns geografisch und kulturell ferner sind?

Gerechtigkeit bedeutet immer noch, Gleiches gleich zu behandeln. Ein Blick zurück zeigt aber: Die Geschichte läuft anders! Die Geschichte ist nicht gerecht! Meine Hoffnung, dass sich die NATO in Zukunft vernünftig zurückhält, ist daher auch nur in mäßigem Ausmaß vorhanden.

Spricht man über Gerechtigkeit, so kann man auch an der „Enteignung“ russischer Oligarchen durch Staaten der Europäischen Union nicht wortlos vorbei.

Einige russische Oligarchen zittern jetzt um ihre in Europa „geparkten“ Vermögenswerte. Ihre Vermögen werden der Reihe nach „eingefroren“! Sie werden nicht enteignet! Das ist ein Unterschied, darauf legt man Wert. Zu enteignen, widerspräche ja unseren rechtsstaatlichen Prinzipien. Man verhindert bloß, dass Oligarchen über ihre Vermögenswerte verfügen können. Man setzt Yachten fest, beschlagnahmt Villen, sperrt Bankkonten und behindert anderes, so weit es eben geht.

Es sei ein Akt der Solidarität mit dem überfallenen Volk der Ukrainer alle Unterstützer der Putinschen Strategie der Verbrannten Erde mit in Verantwortung zu nehmen. Es sei durchaus gerecht, alle rechtsstaatlich korrekten Mittel einzusetzen, um die Finanzkraft russischer Oligarchen, die Putins Krieg finanzieren, zu schwächen. Auch dass man jene Künstler, die den Krieg ausdrücklich befürworten, aus dem Programm europäischer Kulturstätten nimmt, ist noch einigermaßen verständlich. Dass man aber jenen, die es vorziehen sich nicht zu äußern, Stellungnahmen abzuzwingen versucht, ist schändlich. Sie mit einem Boykott zu belegen ist es auch und es ist darüber hinaus ungerecht. Dass Frau Netrebko und Herr Gergiev mit Auftrittsverbot belegt bzw. aus ihren Engagements entlassen wurden, ist ein nicht wiedergutzumachender Fehler und ein entsetzlicher Verlust für die europäische Kultur. Die Beweggründe zu schweigen sind zu mannigfach, als dass man ihnen daraus einen Vorwurf konstruieren dürfe. Wir haben (zum Glück) auch Karajan nicht zu dirigieren verboten. Ähnliche Beispiele gibt es zu Hauf.


Welche Art von „Gerechtigkeit“ ist das aber eigentlich? Welche Art von „Rechtsstaatlichkeit“ ist das? „Nulla poena, nullum crimen sine lege!“ (Keine Strafe ohne Schuld!) ist einer der ersten, tragenden Sätze zivilisierter Rechtsordnungen!
Die V e r m u t u n g , sie (alle Russen) k ö n n t e n schuldig sein, (im Sinn von: sie könnten Putin-Unterstützer sein) genügt in einem Rechtsstaat nicht dazu, jemanden schuldig zu sprechen! Der geringste Zweifel führt zum Freispruch! So ist das Recht! *

Ich bin nicht und ich will nicht der Fürsprecher russischer Oligarchen sein, aber dass man deren Vermögenswerte jetzt so einfach „einfriert“, lässt mich an der Rechtsstaatlichkeit unseres Systems doch etwas zweifeln. Man beraubt sie ihres Eigentums, w e i l sie Russen sind? Andererseits sprechen wir den Nationalisten und Oligarchen Alexei Nawalny fast heilig. Nur weil er gegen Putin ist? (Vielleicht sind andere auch gegen Putin und wir wissen es nicht?)

Es wäre nicht nur gerechter, es wäre auch taktisch klüger, jene Oligarchen, von denen man nicht definitiv weiß, dass sie Putins Krieg finanzieren, nicht zu enteignen, ihnen ihre Yachten als Spielzeug zu lassen und zu versuchen, sie auf die Seite des Westens zu ziehen; sie in ihrem Anti-Putin-Engagement zu bestärken! Wenn jemand Putin stürzen kann, dann sind sie es. Und sie werden es nur dann tun, wenn sie ihre Geschäftsinteressen durch den Krieg bzw. die Sanktionen massiv gefährdet sehen.

„Divide et impera!“ (Spalte und herrsche!) Damit sind schon viele ans Ziel gelangt, nicht nur die CIA!

Die derzeitige Strategie des Westens wird den Krieg in die Länge ziehen und wenn die Führung um Selenskij nicht einschwenkt, das Land vollständig ruinieren. Höchstwahrscheinlich liegt die Lösung wirklich nur in einem Umbruch in den Führungen. Ich vermute doch, dass Putin den längeren Atem hat als Selenskij.

Anmerkungen:

  • Nachträglich am 28.3.2022 eingefügt: Dazu eine passende Stelle aus der phil. Religionsgeschichte, die ich heute in einem FB-Text von Nina Scholz gefunden habe. Hier wird gezeigt, wie weit zurück in der menschlichen Entwicklung das erstmalige Auftauchen eines individualistisch gefärbten Schuldbegriffs geht. Sie schreibt sinngemäß: „In der Ideengeschichte findet sich eine Art Proto-Individualismus bereits in der jüdischen Tradition des babylonischen Exils im 6. vorchristlichen Jahrhundert beim Propheten Ezechiel, wo es heißt: „Ein Sohn soll nicht tragen an des Vaters Schuld, und ein Vater nicht tragen an der Schuld des Sohnes.“ (Ezechiel 18, 20) Hier taucht vielleicht erstmals die Vorstellung eines Gottes auf, der die Verantwortung für Taten nicht mehr kollektiv dem Volk, dem Stamm oder der Sippe anlastet, sondern das Individuum als verantwortlich anspricht.“
  • Und wie ist das jetzt mit den „Enteignungen“, wenn sich zeigt, dass eine Vielzahl der enteigneten Oligarchen jüdischer Herkunft ist? Ist man dann als Enteigner eigentlich ein rassistischer Antisemit, ein Nazi oder doch noch (wieder) auf der richtigen Seite?

Wer bringt die beiden zur Vernunft?

Eine der Voraussetzungen für die Beendigung des Ukrainekriegs könnte – nach Kujats* Meinung – anscheinend doch die Übernahme eines Neutralitätsstatus durch die Ukraine sein! Genau das wollte und will offensichtlich auch Putin. Ähnliches forderte Kissinger schon 2014. Aber das hätte man v o r dem Krieg auch schon haben können, wenn sich die Ukraine um eine vernünftigen Dialog mit Russland bemüht hätte. Vielleicht sollten diejenigen, die immer auf eine Veränderung der politischen Lage (d.h.: auf einen Umsturz) in Russland hoffen, stattdessen auch auf eine politische Änderung in der Ukraine hoffen? Solange sich die ukrainische Bevölkerung von Selenskyj und seinen Gesinnungsgenossen am Gängelband durchs Chaos in den Tod führen lässt, wird der Krieg höchstwahrscheinlich unvermindert weitergehen und das Land in Schutt und Asche gelegt werden. Dass die Rede Selenskyjs im deutschen Bundestag, mit der er abermals versuchte, durch die Einbindung der NATO in den Krieg, einen nicht verantwortbaren nuklearen Weltkrieg zu entfesseln, heute mit stehendem Applaus quittiert wurde, wird höchstwahrscheinlich nicht als Sternstunde deutscher Politik in die Geschichte eingehen. Nicht nur Putin, auch Selenskyj muss man schleunigst zur Vernunft bringen.

*Harald Kujat * 1. März 1942 in MielkeReichsgau Wartheland) ist ein deutscher General a. D. der Luftwaffe. Er war von 2000 bis 2002 der 13. Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. (Wikipedia)

Anmerkung: Ich habe seriöse Rückmeldungen (PN) bekommen, die meinen, ich würde die Opfer- und Täterrolle verdrehen. Dem ist nicht so, da werde ich gründlich missverstanden. An der Opfer und Täterrolle will ich nicht rütteln. Opfer ist die ukrainische Bevölkerung, das habe ich auch bisher immer betont. Täter sind „die Putins“ und „die Selenskyjs“ und jene Politiker des „Westens“, die den Ukrainern ungerechtfertigte, unerfüllbare Hoffnungen auf die Mitgliedschaft in der NATO und der EU gemacht haben.

Zum „Paria“ tanken fahren

Ich kenne mich in der ungarischen Politik ja wirklich nicht so gut aus wie Paul Lendvai, aber ich weiß natürlich auch, dass Orban neben den anderen Visegradstaaten innerhalb der EU das Feindbild par excellance darstellt. Über Ihn etwas Positives zu schreiben, ist nicht „ungefährlich“, da macht man sich leicht Feinde. Ich will seine Politik damit auch nicht wirklich beurteilen, schon gar nicht reinwaschen, aber mir fällt doch einiges auf, das man vielleicht auch bedenken sollte:

1. Orban hat, damals als die Frankenkredite exorbitant in die Höhe schossen, sodass manche der österreichischen Häuselbauer praktisch nochmals von vorne mit dem Schuldenzahlen beginnen mussten, weil sich ihre Schuld dadurch so erhöht hat, dass die bis dahin geleistete Rückzahlungen mehr oder weniger verfielen, den Schaden für die ungarischen Kreditnehmer mittels Gesetz extrem niedrig gehalten. Sehr zum Missfallen der europäischen Banken.

2. Orban hat 2015 die Masseneinwanderung von Muslimen aus Syrien, aus Afghanistan, aus Afrika und anderen weit entfernten Ländern, die uns kulturell ferner als fern stehen, im Gegensatz zu anderen EU-Ländern, nicht mitgemacht und viel Schelte von der EU dafür bezogen. Dass er seine Landsleute dadurch vor viel Ungemach bewahrt hat, steht heute fest.

3. Orban hat den durch die Kriegshandlungen zwischen Russland und der Ukraine explodierenden Benzinpreis für seine Landsleute nun gedeckelt, in Ungarn beträgt er derzeit € 1,29 bei uns€ 2,09 ; bei uns ist der Staat nicht einmal bereit, die Ust. für den Sprit zu senken. Und wieder sind bei Ihm die großen Konzerne die Verlierer. Weitere Feinde in der EU sind ihm gewiss.

Es mag ja sein, dass er demokratische Schwächen hat, vielleicht ist er auch korrupt und kein „lupenreiner Demokrat“, aber wenn ich die Regierungen der letzten Jahre in Österreich vor meinem geistigen Auge Revue passieren lasse, sieht es auch nicht rosig aus. Korruption ist nicht selten und mit dem demokratischen Verständnis ist es auch bei uns nicht weit her. – siehe Justiz (Bestellung der Höchstrichter, Einflussnahmen bei Ermittlungen) und BVT-Skandal – alle Skandale aufzuzählen würde die Seite sprengen. Wir haben wenig Anlass mit Geringschätzung oder gar Verachtung auf ihn „herabzusehen“, bevor wir es nicht besser gemacht haben.

Was will Putin?

Ohne den Status eines Ost-Europa-Experten für mich beanspruchen zu wollen, die jetzt wie „Schwammerl“ nach einem ausgiebigen Herbstregen aus dem Boden zu schießen scheinen, ist es meines Erachtens Pflicht politischer Menschen, und als solcher fühle ich mich, zum traurigen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine Stellung zu beziehen. Auch auf die Gefahr hin, mangels unzureichender oder gar falscher Information zu irren, möchte ich nicht schweigen müssen. Man kann sich in Zeiten wie diesen nicht heraushalten, allein schon deshalb, weil die Ausgewogenheit der in den Medien geäußerten Meinungen mir nicht gewährleistet erscheint. Auf jede Meinung kommt es an, schreibt John Stuart Mill, sei sie auch noch so falsch. Immer dann, wenn sich alle so ziemlich einig sind, besteht für die Wahrheitssuche höchste Gefahr. So will ich meine Bemühungen sehen, die hier nachzuverfolgen sind. Werde ich von Experten oder gar von der Zukunft eines Besseren belehrt, werde ich es dankbar hinnehmen.

Zur eigentlichen Frage: „Was will Putin?“

Aus zahlreichen seiner Äußerungen ist zu entnehmen, dass sich Russland von der -allen Versprechen zum Trotz – beständigen Ausweitung des EU- und NATO-Einflussgebietes seit 1990 in seiner Sicherheit bedroht fühlt. Es ist wenig sinnvoll, in Frage stellen zu wollen, ob diese Bedrohung wirklich besteht oder nicht. Wenn sich jemand bedroht „fühlt“, nützt es wenig, ihm zu sagen, er solle seinem Gefühl nicht vertrauen. Er fühlt sich bedroht. Was will man ändern? Man kann seine eigenen Handlungen daraufhin abstimmen, sein eigenes Verhalten ändern oder man kann darüber hinweggehen und sich denken: „Dein Problem!“ Ich habe den Eindruck, letzteres spiegelt die Haltung des Westens wider. Der Westen hat sich verstärkt darin geübt, keine Gefühle von sexuell-auffrisierten Minderheiten zu verletzen, hat sich darin geübt „sprachliche Sonderprobleme“ zu lösen und seine Energie mit anderen Nebensächlichkeiten verbraucht. Für die dringenden täglichen Probleme des politischen Zusammenlebens zwischen Ost und West blieb da wenig Zeit. Zeit und Geld wurden nicht in die Erforschung von Lösungen politischer oder wirtschaftlicher Probleme investiert, sondern in die Vermehrung von Lehrstühlen des Genderwahns. Aber das ist ein anderes Thema. Man hat Russland, ja den Osten überhaupt, zu wenig ernst genommen. Diese Nachlässigkeit scheint sich jetzt zu rächen.

Das Bedrohungsszenario, das Putin wahrnahm, muss man, ob man ihn schätzt oder nicht, ernst nehmen. Das tat der Westen nicht. Und so kam, was kommen musste. Putin ließ die russischen Truppen nicht nur aufmarschieren, er ließ sie auch einmarschieren. Die Ukraine wird zerbombt, Frauen und Kinder flüchten und die Männer zeigen sich tapfer und ziehen gegen den Feind. Staatschef Selenskyj gibt sich unnachgiebig und kämpferisch – auf Kosten seiner Männer und der vom Feind zerstörten Infrastruktur. Wie gesagt, ich bin kein Ostexperte und ich bin kein Militärstratege, dennoch muss ich mich fragen, wie man dieses Szenario beenden könnte ohne das Land endgültig in Schutt und Asche zu legen.

Die Experten sind mehr oder weniger einhellig der Meinung, dass Putin das Land zwar erobern, aber nicht dauerhaft besetzen wird können. Aber dann wird das Land bereits zerstört sein und es wird viele Tote gegeben haben, bevor man sich zu einem Kompromiss zusammensetzen wird müssen. Also warum den Kompromiss nicht schon vorher versuchen?

Putin fordert:

  1. die Abtretung der Krim
  2. einen Autonomiestatus für Donezk und Lugansk
  3. die Entmilitarisierung der Ukraine und
  4. ein Neutralitätsgarantie im Verfassungsrang

Das sind Forderungen, die mir keineswegs unerfüllbar erscheinen. Warum?

Der Großteil der Experten geht davon aus, dass die Krim ohnehin auf Dauer für die Ukraine verloren ist. Damit wird man sich abfinden müssen. Die Bevölkerung der Krim hat zudem abgestimmt, sie will nach Russland. Auch ein Autonomiestatus für den Donbas müsste für die Ukraine zumindest „ertragbar“ sein. Italien kann mit einem Autonomiestatus von Südtirol gut leben und die Südtiroler auch. Das kann kein wirkliches Hindernis darstellen. Woran es sich wirklich „spießen“ kann, sind die letzten zwei Forderungen: die Neutralitätsgarantie und die Entmilitarisierung der Ukraine. Was das genau bedeuten soll, das müsste verhandelt werden. Meint man damit nur, dass sich alle „fremden“ Militärs aus dem Land begeben müssen oder überhaupt eine Entwaffnung des Landes? Wie man hört kämpfen in der Ukraine die unterschiedlichsten Verbände, sogar „Privatarmeen“ einzelner ukrainischer Oligarchen soll es dort geben.

Und dann bliebe noch die Neutralitätsgarantie. Hier müsste die Vernunft der Ukrainer siegen. Österreich hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch nicht unbedingt ganz freiwillig für die Neutralität entschieden, hat sich dennoch wirtschaftlich bestens entwickelt und auch politisch seinen Platz in der Welt gefunden. Warum sollte das der Ukraine nicht auch gelingen? Das starre Festhalten an den Vorstellungen jetzt sofort in die EU als Mitglied eintreten zu wollen und anschließend den Fuß in die NATO zu setzen, führt offensichtlich ins Verderben. Dass diese Strategie von den EU-Politikern jetzt sogar befeuert wird, ist mir unverständlich.*

Wenn dieser durch die vier Punkte abgesicherte Status dann noch in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zumindest für ein paar Jahrzehnte fixiert und abgesichert wird, müsste ein Friedensschluss doch möglich sein. Ein Frieden, der beiden „Parteien“ ermöglicht, aufrecht vor das eigene Volk zu treten, der die Kampfhandlungen beendet und das Land vor der gänzlichen Zerstörung bewahrt.

  • Korrektur, am 12.3.2022: Es sollte besser heißen: „Dass diese Strategie von den EU-Politikern jetzt sogar befeuert wird, ist unverantwortlich!“

Wird Europa tatsächlich von Idioten regiert?

Heute im Kurier:

„Guardiola wütet wegen Krieg: „Politiker sind komplette Versager!“

Hat er recht? Oder war es Kalkül? Haben die maßgeblichen EU-Politiker, hat Selenskyj den Krieg miteinkalkuliert? Putins Rolle ist hingegen ziemlich klar! Seine Entwicklung lässt sich seit den 1990er Jahren Schritt für Schritt nachvollziehen. Dass er den Krieg wirklich führen wird, hätte für Eingeweihte keine eine große Überraschung sein dürfen. Anders sähe es aus, wäre noch der Trunkenbold Jelzin Präsident gewesen. Man vergegenwärtige sich: Putin, Ex-KGB-Mann, Kampfsportler, Jagdflieger, rücksichtsloser Machtmensch, Macho durch und durch, wen hat das wirklich überrascht, dass er, wenn es hart auf hart geht, wirklich Ernst macht? Zu welcher Einschätzung waren die westlichen Geheimdienste gekommen? Lagen sie wieder einmal total daneben? Oder haben sie es ohnehin „gewusst“?

Wenn man auf Kalkül tippt, wird man sich dennoch sehr schnell mit der Einordnung als „Verschwörungstheoretiker“ abfinden müssen. Die zu erwartenden Profite der Rüstungsindustrie, die ihre Gewinne jetzt hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, auf Kosten des Leids der ukrainischen Bevölkerung einstreift; die „spontan“ wiederaufkeimende Diskussion in Finnland und auch in Österreich über die Blockfreiheit/Neutralität lassen diese „Theorie“ aber auch nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen. Man stelle sich vor, was es bedeutet, 2% des BIP für Rüstungsausgaben bereit zu halten. Allein diese Vorstellung genügt sicher schon, die Herzen aller Vorstände und Aktionäre der Rüstungsfirmen höher schlagen zu lassen. Wie viele Arbeitsplätze das sichern könnte, werden sie sagen. Was bedeuten schon ein paar Tote, werden sie denken.

Bequemer und auch tröstlicher wäre tatsächlich, der Ansicht Guardiolas zu folgen und die EU-Politiker für blöd zu halten.

Der Unsinn zum Tage

Ein lieber Freund schrieb mir gestern, dass ein uns bekannter Tanzlehrer, russischer Abstammung, im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine gerade einen shitstorm erleide. Man fordere öffentlich dazu auf, seinen Unterricht zu meiden und die bei ihm gebuchten workshops abzusagen. Ich würde das Diskriminierung nennen, weil er für die Putinsche Politik nichts kann und sich auch nie als Freund eines Ukraine Kriegs zu erkennen gegeben hat.

Ja, es sind traurige Zeiten.

Und dann sollte ich noch erwähnen, dass ich zudem auch noch in einem Krätzel Österreichs lebe, das viele der sogenannten Impfgegner und Corona-Leugner beherbergt. Täglich gehe ich an einem Wald von Plakaten vorbei, an denen so tiefe Sinnsprüche und Parolen affichiert sind wie: „Österreich – Diktatur“ und „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ oder „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“! Auch mein Lieblingsspruch findet sich dort: „Ich denke selber!“ nicht zuletzt liest man „Wir lassen uns nicht diskriminieren!“

Ja, das mit der Diskriminierung ist schon so eine Sache. Wenn ich zum Beispiel eine Wohnung zu vermieten hätte und es stände eines Tages ein Russe vor der Tür, den ich mit den Worten abweise, dass ich an Russen nicht vermiete, dann würde der, das Recht haben, mich wegen Diskriminierung zu klagen. Und er würde recht bekommen. Man darf niemanden, das verbürgen die Menschenrechte, aufgrund seiner nationalen Zugehörigkeit, seines Religionsbekenntnisses, seiner sexuellen Vorlieben usw. benachteiligen. Das ist überall so in Europa, glaube ich.

Deshalb wundert mich, dass jetzt in Imperia eine Yacht konfisziert wurde, mit der ausschließlichen Begründung, sie gehöre einem Russen. Und das sei keine Diskriminierung aufgrund nationaler Zugehörigkeit, sondern gut so und notwendig und widerspreche den sogenannten Europäischen Werten, inklusive der Unverletzlichkeit des Eigentums in keiner Weise, auch wenn diesem Russen keine persönliche Schuld angelastet werden könne. Es ginge ja um eine gute Sache, man müsse Putin schaden. Das genüge.

Nun versuche ich mir zu erklären, wie das wohl gehen könnte, dass das Eine wohl, das Andere keine Diskriminierung sei. Und dann ist mir Gott-sei-Dank dieser Spruch vom „Selberdenken“ eingefallen und ich dachte, das versuchst du auch einmal: Und auf einmal war alles leicht, das Eine fügte sich zum Anderen, und ich kam zum Schluss, dass das wohl mit dem „SEE-RECHT“ zu tun haben müsse. Im Seerecht ist ja alles anders, dort gibt es auch kein Links und Rechts, sondern Backbord und Steuerbord, und kein Vorne und Hinten, sondern Bug und Heck. Also wird es auch keine Diskriminierung geben, denke ich selbst.

Daran wird es liegen. Es hat schon alles seine Ordnung!