Kategorie: literarische Texte

Push-back 2 – eine Begegnung

Gestern, am frühen Nachmittag, läutete meine Nachbarin an meiner Tür. Ob ich ein paar Minuten Zeit hätte, fragte sie. Sie wolle gern etwas besprechen mit mir.
Dazu ist zu sagen, dass meine Nachbarin, Frau Severine Korngold, (der Name wurde von mir natürlich aus Datenschutzgründen geändert) eine Alleinerzieherin, auch von Berufswegen, seit nunmehr dreißig Jahren meine Nachbarin ist. In diesen dreißig Jahren hatte sie noch nie etwas mit mir besprechen wollen. Meine Verwunderung war daher entsprechend groß.
Ich bitte sie herein und weil ich freundlich und gut erzogen bin, biete ich ihr eine Tasse Kaffee an. Sie lehnt ab. Natürlich, ich hätte es mir denken können, Frau Korngold, ist ihres Zeichens nicht nur alleinerziehend, sondern wie es sich für Vertreterinnen des grünen Milieus gehört, auch eine Kaffee verschmaehende Teetrinkerin. So etwas bringt aber einen Milieustreuner wie mich nicht aus der Ruhe. Grüner Tee ist auch im Hause, also stelle ich Wasser zu.
Ich würde gern zur Sache kommen, sage ich. Worum geht’s, Frau Nachbarin?
Sie sei, sagt sie, ganz zufällig auf meinen Artikel über die „Push – backs“ in den Zeitdiagnosen gestoßen und wolle sich nun vergewissern, ob tatsächlich ich es sei, der dieses Pamphlet geschrieben habe. Sie zweifle stark an meiner Autorenschaft, der guten Nachbarschaft wegen wolle sie aber sicher gehen. „Der guten Nachbarschaft wegen?“, sage ich. Nun ja, sie sei wie vom Donner gerührt gewesen, so etwas Menschenverachtendes hätte sie selten gelesen, sagt sie ohne Vorwarnung. Das hätte sie nicht nur total überrascht, sondern sie auch an ihrer Menschenkenntnis zweifeln lassen, von deren Zuverlässigkeit sie immer überzeugt gewesen sei. Sie habe mich bisher ganz anders eingeschätzt, werde aber nun wohl oder übel ihre Meinung über mich revidieren müssen. Niemals hätte sie mir soviel Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit zugetraut. Es sei eine Unverfrorenheit die Vorgangsweisen an den Grenzen gut zu heißen, mit denen unschuldige, hilfsbedürftige Menschen zurückgestossen würden. Herzlos sei das und unverantwortbar. Wie man das gutheißen kann, sei ihr unverständlich.

Es sei natürlich auch ihr, als überzeugter Sozialdemokratin, klar, dass Österreich allein nicht im Stande ist, alle Not der Welt zu lindern oder alle Kriege dieser Welt zu beenden, geschweige denn alle Flüchtlinge der Welt aufzunehmen, sie aber ohne Verfahren zurückzustoßen, sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie hatte sich so sehr in Rage gebracht, dass es mir angebracht schien, sie besser nicht zu unterbrechen.

Leute wie Sie, sagt sie in heftigster Erregung, sind dafür verantwortlich, dass Tausende im Mittelmeer ertrinken. Sie ringt nach Luft. Das gibt mir Gelegenheit zu erwidern: „Wer sich mutwillig in Gefahr bringt, darf sich nicht wundern, darin umzukommen.“, sage ich. Das bringt sie vollends aus der Fassung. Diese Leute besteigen total überladene, rostige Kähne oder billigste Schlauchboote fahren etwas auf das Meer hinaus, kaum fünf Kilometer von der Abfahrtskueste entfernt senden sie ein SOS – Signal und hoffen auf Rettung. In den meisten Fällen gelingt das auch, kaum dass sie die Küste Libyens oder Tunesiens verlassen haben, werden sie gerettet und in Italien an Land gesetzt. Das ist Kalkül, aber manchesmal geht’s nicht auf. Dann endet die Geschichte tragisch. Aber niemand wird gezwungen sich diesen Seelenverkaeufern auszuliefern, sage ich.

Wenn das wirklich Ihre Meinung ist, dann kann ich mit Ihnen nicht reden, sagt sie. Und dass sie das nicht von mir erwartet hätte. Und dann sagt sie noch,  dass sie mit mir überhaupt niemals mehr etwas zu tun haben wolle. Leute wie ich, seien das Unglück der Welt. Ich sei nicht besser als all die alten und neuen Nazis, die jetzt wieder aus ihren Löchern kroechen und eine Anzeige wegen Volksverhetzung werde sie auch noch einbringen. „Dann ist Schluss mit Ihrem rechtsradikalen Geschreibsel!, sagt sie.

Ich verzichte darauf, sie besaenftigen zu wollen und begleite sie wortlos zur Tür. Den Rest des grünen Tees versenke ich in den Ausguss.

Man wird sehen, ob meine empathische Menschenfreundin sich jemals dazu entscheiden wird, in ihr geräumiges Einfamilienhaus, das sie übrigens allein bewohnt, ein paar Flüchtlinge aufzunehmen. Dann würde ich meine Meinung über ihre Haltung, die ich hier verschweige, wohl ändern müssen.

* Dies ist natürlich eine fiktionale Geschichte, Aehnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Willkommenskultur oder doch Nekrophilie?

Willkommenskultur oder doch Nekrophilie?

„Woher die Verachtung des Eigenen und die unkritische Verherrlichung des Fremden rühren, könnten wohl nur Psychiater herausfinden.“

Das Zitat stammt aus einem durchaus lesenswerten Text, siehe: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/willkommen_und_abschied

Hyronimus Bosch - Die sieben Todsünden und die vier Letzten Dinge
Hyronimus Bosch – Die sieben Todsünden und die vier Letzten Dinge

Es scheint tatsächlich so zu sein, dass von vielen gerade das als erstrebenswert, beachtenswert, unterstützenswert betrachtet wird, was als „nicht-heimisch“ angesehen werden kann.

Die besten Käse sind aus dem Ausland, die besten Weine sowieso, selbst das Joghurt ist uns aus Deutschland lieber.

Wie man aus zahlreichen historischen Beispielen aus Wissenschaft und Kultur, selbst aus dem Sport weiß, gilt der Prophet im eigenen Land wenig. Erst wenn er es im Ausland zu Bedeutung und Ansehen gebracht hat, also irgendwie „fremd“ geworden ist,  ist die Heimat bereit, ihn entsprechend zu würdigen.

Das Heimische ist nicht nur langweilig, es ist im Falle Österreichs in überreichem Maße durch seine „jüngste Geschichte“ belastet. Zu allgegenwärtig sind die Fotos in Mutters Schuhkarton von rechtsgescheitelten Buben in kurzen Hosen und weißen Stutzen, gegenwärtig sind die Steirerhüte und Trachtenjanker und die handgenähten Haferlschuhe, die die Last der Geschichte nun zu tragen haben.

Die langen, fruchtlosen Diskussionen darüber, ob man das Wort „Heimat“ überhaupt noch verwenden dürfe, ohne ein Sakrileg zu begehen, die ganze Künstlernächte literarisch füllten, sind zwar schon verhallt, ihre Nachwirkungen treffen uns täglich. Einerseits kann man eine Renaissance des Heimatbegriffs und in deren Gefolge eine verstärkte Hinwendung zur Regionalität feststellen, was sich unter anderem in einer starken Wiederbelebung der Trachtenmode, der Wiedereinführung von Perchtenläufen in „Hinterbumskraxn“, nicht zuletzt in der steigenden Beliebtheit der Volks- und volkstümlichen Musik äußert, andererseits gibt es immer noch starke Ressentiments diesem Begriff gegenüber. Heimat ist immer noch etwas Enges, räumlich und geistig, das vom Dunst des „Völkischen“ noch nicht ganz befreit erscheint; ein Massiv, immer noch von den dunklen Wolken der deutsch-österreichischen Geschichtsbetrachtung umgeben.

Nicht umsonst reisen wir in die Welt hinaus. Das Fremde, das Unbekannte zieht uns an. In das Fremde kann man, weil die Zeit nicht reicht, es genau kennenzulernen, es zu einem „Bekannten“ zu machen,  alle die Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen hineinprojizieren, die wir an all dem Bekannten schon x-mal abprallen haben sehen müssen.

Das Fremde hingegen erscheint uns freundlich, bietet uns Abwechslung, hebt uns aus dem Alltag heraus, besser noch als ein Kinobesuch, ein Konzert oder eine Opernpremiere.

Wir gehen thailändisch, chinesisch, wir gehen indisch essen; Schweinsbraten ist ungesund. Ein Genuss, natürlich. Manche, die nur wenig weiblichen Widerspruch ertragen, holen sich ihre Frau aus Thailand. Möglichst jung und sexy, oder was sie halt dafür halten. Was macht es aus, dass man sich kulturell nicht versteht, wenn man selbst kulturlos ist?

Der / das Fremde ist edel. Um das festzustellen, ist es angebracht, wenig von ihm zu wissen. Allein, dass es fremd ist, genügt;  fremd macht bedeutsam.

„Der edle Wilde“ der Romantik ist es, der nicht nur bei Rousseau, sondern auch in vielen romantischen Köpfen der Gegenwart sein Reservat gefunden hat.

Eine Rückbesinnung auf die Kolonisationsreisen unserer Kindheitsgehirne: Robinson Crusoes Verhältnis zu Freitag, Tarzan und Jane, der edle Häuptling der Apachen Winnetou und sein Blutsbruder Old Shatterhand, das sind die einzig wahren und edlen Geschichten. Geschichten, die in uns eingesickert sind und dort ihre Wirkung entfachen. Dass die dunklen Gestalten der Raunächte in unseren Köpfen ebenso herumspuken, wer will das leugnen.

Warum es einmal das eine, das andere Mal das andere ist, das Überhand gewinnt, könnte man den Psychologen zur Klärung vorlegen. Der Soziologe kann das nur in Bezug zu den sozialen, gesellschaftlichen Umständen bearbeiten. Die sozialen Auswirkungen dieses Phänomens sind evident: sie äußern sich einmal als romantische Willkommenskultur, einmal als düstere Fremdenfeindlichkeit; zwei Antagonismen, die einander unversöhnlich gegenüberstehen.  Aktuell spürt man das in der Debatte rund um die Krise, die Europa nun erreicht hat; eine Krise, die die einen, im Glauben an die Idee des edlen Wilden, Flüchtlingskrise nennen; die anderen, die diesen Glauben nicht zu teilen vermögen, verwenden dafür den bedrohlichen Terminus Völkerwanderung. Beide sprechen von denselben Ereignissen.

Der eigene Standpunkt, die eigene Lebenswelt prägt unsere Vorstellung dessen, was wir Wirklichkeit nennen. Und manchmal sehen wir nur das, was wir zu sehen wünschen. Das Phänomen der selektiven Wahrnehmung ist wirksam und man kann sich ihm kaum entziehen.

Etwas hilft: Die alte Poppersche Regel: Versuche nicht, Deine These zu verifizieren, versuche sie zu falsifizieren, mit aller Kraft, mit dem ganzen Geschick, das dem Verstand zur Verfügung steht. Wenn die These auch dann noch nicht kippt, halte sie solange aufrecht, bis vielleicht ein anderer sie widerlegt. Dann erst verwirf sie.

Es gibt immer nur Indizien für die Wahrheit, niemals gibt es Beweise. Solche Indizien für eine rückhaltlose Willkommenskultur, wie sie von einigen der Zeitgenossen zelebriert wird, könnten von einer allgemeinen, nicht ungefährlichen, weil alles relativierenden Geisteshaltung bestimmt sein, die bis weit in die wissenschaftliche Diskussion hinein vorgedrungen ist. Der Postmodernismus.

Er, der allen Diskursarten (Wissenschaft, Bildende Kunst, Literatur, Religion, Esoterik, etc.) dieselbe Wahrheitsfindungskompetenz einräumt und gleichzeitig die Wahrheit an sich als relativ in Frage stellt, zeigt seine Krallen. Die Wahrheit ist allem Anschein zum Trotz jedoch nie relativ. Die Wahrheit ist die Wahrheit, auch wenn man nie sagen kann, wann man sie tatsächlich erreicht hat.

Der Postmodernismus aber hat die Zertrümmerung der Wahrheit bewusst oder unbewusst in Kauf genommen, und er hat andere dazu verführt, die Relativierung der Wahrheit besonders in außerwissenschaftlichen Bereichen zu einer grundsätzlichen Ablehnung des Wahrheitsbegriffes hochzustilisieren. Dadurch wurde ein geistiger Rückschritt hin zu vormodernen, esoterischen Gebräuchen, Hexenglauben, Schamanismus, Tarotkartenlegen, Sternzeichendeutung, Horoskop-Glauben und anderen Wundergläubigkeiten begünstig; ein Rückschritt wurde vollzogen, der von den Vermittlern des allgemeinen Kulturauftrages im ORF mit Begeisterung unter die Leute gebracht wird. Alles das trägt seinen Teil dazu bei, vormoderne Gesellschaften und um solche handelt es sich größtenteils auch bei jenen, deren Staatsreligion der Islam darstellt, als besonders anziehend zu empfinden und die damit verbundenen Risiken auszublenden.

Dass auch die gruselige Seite des Islams, (das Strafrecht der Scharia, die Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit, die körperlichen Beuge-Strafen, die Unterdrückung der Frauen, die arrangierten Kinderheiraten u.n.v.a.m.) die zweifellos jeden aufgeklärten Menschen mit Abscheu erfüllt, für manche hingegen doch unbewusst einen nicht zu unterschätzenden Reiz zu entfalten in der Lage ist, könnte mit einem Phänomen zusammenhängen, das Sigmund Freud den „Todestrieb“ genannt hat. Angeblich fühlt sich der Österreicher nirgends so wohl, wie auf dem Zentralfriedhof. Im Moder der Zeit sein Glück finden, scheint zu einer modernen Haltung zu werden.

Die bedeutendsten Leistungen in Wissenschaft und Kultur sind wohl nicht zufällig im „fin de siècle“ erbracht worden. Der Österreicher braucht den Kometen, die Völkerwanderung, die Untergangs- , die Endzeitstimmung, dann erst erstrahlt er in vollem Glanz.

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*„Mit einer schwarzen Augenbinde, wie zum Tode Verurteilte zum Schafott geführt werden, lege ich mich oftmals ins Bett und schlafe ein, bis mich der erste Todestraum aufschreckt.“       Aus: Josef Winkler, „Friedhof der bitteren Orangen“