Kategorie: literarische Texte

Willkommenskultur oder doch Nekrophilie?

Willkommenskultur oder doch Nekrophilie?

„Woher die Verachtung des Eigenen und die unkritische Verherrlichung des Fremden rühren, könnten wohl nur Psychiater herausfinden.“

Das Zitat stammt aus einem durchaus lesenswerten Text, siehe: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/willkommen_und_abschied

Hyronimus Bosch - Die sieben Todsünden und die vier Letzten Dinge
Hyronimus Bosch – Die sieben Todsünden und die vier Letzten Dinge

Es scheint tatsächlich so zu sein, dass von vielen gerade das als erstrebenswert, beachtenswert, unterstützenswert betrachtet wird, was als „nicht-heimisch“ angesehen werden kann.

Die besten Käse sind aus dem Ausland, die besten Weine sowieso, selbst das Joghurt ist uns aus Deutschland lieber.

Wie man aus zahlreichen historischen Beispielen aus Wissenschaft und Kultur, selbst aus dem Sport weiß, gilt der Prophet im eigenen Land wenig. Erst wenn er es im Ausland zu Bedeutung und Ansehen gebracht hat, also irgendwie „fremd“ geworden ist,  ist die Heimat bereit, ihn entsprechend zu würdigen.

Das Heimische ist nicht nur langweilig, es ist im Falle Österreichs in überreichem Maße durch seine „jüngste Geschichte“ belastet. Zu allgegenwärtig sind die Fotos in Mutters Schuhkarton von rechtsgescheitelten Buben in kurzen Hosen und weißen Stutzen, gegenwärtig sind die Steirerhüte und Trachtenjanker und die handgenähten Haferlschuhe, die die Last der Geschichte nun zu tragen haben.

Die langen, fruchtlosen Diskussionen darüber, ob man das Wort „Heimat“ überhaupt noch verwenden dürfe, ohne ein Sakrileg zu begehen, die ganze Künstlernächte literarisch füllten, sind zwar schon verhallt, ihre Nachwirkungen treffen uns täglich. Einerseits kann man eine Renaissance des Heimatbegriffs und in deren Gefolge eine verstärkte Hinwendung zur Regionalität feststellen, was sich unter anderem in einer starken Wiederbelebung der Trachtenmode, der Wiedereinführung von Perchtenläufen in „Hinterbumskraxn“, nicht zuletzt in der steigenden Beliebtheit der Volks- und volkstümlichen Musik äußert, andererseits gibt es immer noch starke Ressentiments diesem Begriff gegenüber. Heimat ist immer noch etwas Enges, räumlich und geistig, das vom Dunst des „Völkischen“ noch nicht ganz befreit erscheint; ein Massiv, immer noch von den dunklen Wolken der deutsch-österreichischen Geschichtsbetrachtung umgeben.

Nicht umsonst reisen wir in die Welt hinaus. Das Fremde, das Unbekannte zieht uns an. In das Fremde kann man, weil die Zeit nicht reicht, es genau kennenzulernen, es zu einem „Bekannten“ zu machen,  alle die Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen hineinprojizieren, die wir an all dem Bekannten schon x-mal abprallen haben sehen müssen.

Das Fremde hingegen erscheint uns freundlich, bietet uns Abwechslung, hebt uns aus dem Alltag heraus, besser noch als ein Kinobesuch, ein Konzert oder eine Opernpremiere.

Wir gehen thailändisch, chinesisch, wir gehen indisch essen; Schweinsbraten ist ungesund. Ein Genuss, natürlich. Manche, die nur wenig weiblichen Widerspruch ertragen, holen sich ihre Frau aus Thailand. Möglichst jung und sexy, oder was sie halt dafür halten. Was macht es aus, dass man sich kulturell nicht versteht, wenn man selbst kulturlos ist?

Der / das Fremde ist edel. Um das festzustellen, ist es angebracht, wenig von ihm zu wissen. Allein, dass es fremd ist, genügt;  fremd macht bedeutsam.

„Der edle Wilde“ der Romantik ist es, der nicht nur bei Rousseau, sondern auch in vielen romantischen Köpfen der Gegenwart sein Reservat gefunden hat.

Eine Rückbesinnung auf die Kolonisationsreisen unserer Kindheitsgehirne: Robinson Crusoes Verhältnis zu Freitag, Tarzan und Jane, der edle Häuptling der Apachen Winnetou und sein Blutsbruder Old Shatterhand, das sind die einzig wahren und edlen Geschichten. Geschichten, die in uns eingesickert sind und dort ihre Wirkung entfachen. Dass die dunklen Gestalten der Raunächte in unseren Köpfen ebenso herumspuken, wer will das leugnen.

Warum es einmal das eine, das andere Mal das andere ist, das Überhand gewinnt, könnte man den Psychologen zur Klärung vorlegen. Der Soziologe kann das nur in Bezug zu den sozialen, gesellschaftlichen Umständen bearbeiten. Die sozialen Auswirkungen dieses Phänomens sind evident: sie äußern sich einmal als romantische Willkommenskultur, einmal als düstere Fremdenfeindlichkeit; zwei Antagonismen, die einander unversöhnlich gegenüberstehen.  Aktuell spürt man das in der Debatte rund um die Krise, die Europa nun erreicht hat; eine Krise, die die einen, im Glauben an die Idee des edlen Wilden, Flüchtlingskrise nennen; die anderen, die diesen Glauben nicht zu teilen vermögen, verwenden dafür den bedrohlichen Terminus Völkerwanderung. Beide sprechen von denselben Ereignissen.

Der eigene Standpunkt, die eigene Lebenswelt prägt unsere Vorstellung dessen, was wir Wirklichkeit nennen. Und manchmal sehen wir nur das, was wir zu sehen wünschen. Das Phänomen der selektiven Wahrnehmung ist wirksam und man kann sich ihm kaum entziehen.

Etwas hilft: Die alte Poppersche Regel: Versuche nicht, Deine These zu verifizieren, versuche sie zu falsifizieren, mit aller Kraft, mit dem ganzen Geschick, das dem Verstand zur Verfügung steht. Wenn die These auch dann noch nicht kippt, halte sie solange aufrecht, bis vielleicht ein anderer sie widerlegt. Dann erst verwirf sie.

Es gibt immer nur Indizien für die Wahrheit, niemals gibt es Beweise. Solche Indizien für eine rückhaltlose Willkommenskultur, wie sie von einigen der Zeitgenossen zelebriert wird, könnten von einer allgemeinen, nicht ungefährlichen, weil alles relativierenden Geisteshaltung bestimmt sein, die bis weit in die wissenschaftliche Diskussion hinein vorgedrungen ist. Der Postmodernismus.

Er, der allen Diskursarten (Wissenschaft, Bildende Kunst, Literatur, Religion, Esoterik, etc.) dieselbe Wahrheitsfindungskompetenz einräumt und gleichzeitig die Wahrheit an sich als relativ in Frage stellt, zeigt seine Krallen. Die Wahrheit ist allem Anschein zum Trotz jedoch nie relativ. Die Wahrheit ist die Wahrheit, auch wenn man nie sagen kann, wann man sie tatsächlich erreicht hat.

Der Postmodernismus aber hat die Zertrümmerung der Wahrheit bewusst oder unbewusst in Kauf genommen, und er hat andere dazu verführt, die Relativierung der Wahrheit besonders in außerwissenschaftlichen Bereichen zu einer grundsätzlichen Ablehnung des Wahrheitsbegriffes hochzustilisieren. Dadurch wurde ein geistiger Rückschritt hin zu vormodernen, esoterischen Gebräuchen, Hexenglauben, Schamanismus, Tarotkartenlegen, Sternzeichendeutung, Horoskop-Glauben und anderen Wundergläubigkeiten begünstig; ein Rückschritt wurde vollzogen, der von den Vermittlern des allgemeinen Kulturauftrages im ORF mit Begeisterung unter die Leute gebracht wird. Alles das trägt seinen Teil dazu bei, vormoderne Gesellschaften und um solche handelt es sich größtenteils auch bei jenen, deren Staatsreligion der Islam darstellt, als besonders anziehend zu empfinden und die damit verbundenen Risiken auszublenden.

Dass auch die gruselige Seite des Islams, (das Strafrecht der Scharia, die Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit, die körperlichen Beuge-Strafen, die Unterdrückung der Frauen, die arrangierten Kinderheiraten u.n.v.a.m.) die zweifellos jeden aufgeklärten Menschen mit Abscheu erfüllt, für manche hingegen doch unbewusst einen nicht zu unterschätzenden Reiz zu entfalten in der Lage ist, könnte mit einem Phänomen zusammenhängen, das Sigmund Freud den „Todestrieb“ genannt hat. Angeblich fühlt sich der Österreicher nirgends so wohl, wie auf dem Zentralfriedhof. Im Moder der Zeit sein Glück finden, scheint zu einer modernen Haltung zu werden.

Die bedeutendsten Leistungen in Wissenschaft und Kultur sind wohl nicht zufällig im „fin de siècle“ erbracht worden. Der Österreicher braucht den Kometen, die Völkerwanderung, die Untergangs- , die Endzeitstimmung, dann erst erstrahlt er in vollem Glanz.

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*„Mit einer schwarzen Augenbinde, wie zum Tode Verurteilte zum Schafott geführt werden, lege ich mich oftmals ins Bett und schlafe ein, bis mich der erste Todestraum aufschreckt.“       Aus: Josef Winkler, „Friedhof der bitteren Orangen“