
428 – 348 v.Chr.
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Platon und Diogenes, zwei der angesehendsten Philosophen der griechischen Antike, führten einst eine heftige Diskussion darüber, ob der Beschreibung dessen, was wir heute als „être humain“ bezeichnen mit der Feststellung, es handle sich um ein „animal implume, bipes, latis ungibus“, wirklich Genüge getan sei.
Sie entfachten damit unwissentlich und unbeabsichtigt eine bis in unsere Tage reichende Auseinandersetzung über die Frage, welche Erfordernisse eine Definition erfüllen müsse, um der Anforderung gerecht werden zu können, Gegenstände des Denkens wirkungsvoll und der Realität entsprechend von einander abzugrenzen.
Dem „modernen Menschen“ erscheint die Lösung, auf die sich die beiden letztlich einigten, lapidar, oberflächlich, nichtssagend, vielleicht sogar lächerlich; der Mensch der Neuzeit scheint davon überzeugt, dass es notwendigerweise und unbestritten zum Wesen des Menschen gehöre, über eine Sprache zu verfügen. Die Definition des menschlichen Wesens gestützt auf die Eigenschaften „unbefiedert“, „zweibeinig“ und mit „breiten Nägeln“ ausgestattet, scheint für die heutigen Anforderungen wenig ausreichend. Da fehlt etwas. Das ist offensichtlich.
Die Sprache sei es, die den Menschen, über den aufrechten Gang hinaus endgültig über das Tier erhebe. Als ob nicht auch Tiere eine Sprache hätten. Als ob nicht all die Sprachlosen auch Menschen wären.
Unausgesprochen bleibt meist, dass es dabei im Besonderen um die Fähigkeit der menschlichen Species geht, einander über das eigene abstrakte Denken im schlimmsten Fall sogar über die Aufwallungen ihres Gefühlslebens Mitteilung zu machen. Besonders letzteres scheint vielen ein außerordentliches Anliegen zu sein.

405 – 320 v. Chr.
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Warum aber schätzen die Menschen an ihren Artgenossen die Fähigkeit der Eloquenz in so außerordentlichem Maße, obwohl es doch in erster Linie sprachliche Äußerungen sind, mit denen der Mensch von Geburt an klein und unbedeutend gehalten wird? Früh muss der Heranwachsende erkennen: Die Sprache ist ein Instrument der Macht, das nur durch sich selbst oder notfalls durch Instrumente der Gewalt besiegt werden kann.
Überzeugten Zweiflern an der Sprache könnte die Behauptung in den Sinn kommen, dass das Wesen der Sprache allein in ihrer Unnotwendigkeit, ihrer Überflüssigkeit läge. Eine Auffassung, deren praktische Ausformung beispielsweise im Orden der Kartäuser ihren Niederschlag gefunden haben könnte.
Der Sprechakt selbst sei ja ohnehin nur ein Akt des Absonderns von Lauten, könnten die Zweifler anführen, sei aber nichts desto trotz vielfach auch ein Akt zwanghaften Charakters zwanghafter Charaktere.
Wolle man das Wesen der Sprache beschreiben, könne man auch nicht darüber hinwegsehen, dass ein wesentliches Kennzeichen in ihrer Eigenschaft des Abgesondertwordenseins zu finden sei.
Trotz aller Unannehmlichkeiten und Unklarheiten, die die Sprache immer wieder provoziere, könne der Mensch ganz offensichtlich aus Gründen, die ihm keinesfalls einsichtig sein müssen, in der Regel nicht darauf verzichten, sich auszudrücken. Und weil ihm jedes Maß und Ziel fehle, drücke der Mensche eben alles das aus, was ihn beschwere, vorzüglich das Überflüssige. Er drücke es, das meist Überflüssige, aus sich heraus und sei erst dann zufrieden, wenn er alles, was er seiner Innenschau verpflichtet in sich findet, ausgedrückt, aus sich heraus-gedrückt hätte.
Er ist davon beseelt es an den Tag zu bringen, denn solange es in ihm sei, sei es ihm und der Welt verborgen und das störe den Menschen.
Die Sprache wird, so die Behauptung, von vielen ebenso abgesondert wie auch andere unliebsame aber notwendige Körperausscheidungen abgesondert werden. Der aufmerksam beobachtende Zuhörer vernimmt hier und dort ein leises oder auch ein etwas lauteres „Rumps“ und schon ist sie da, die Sprache. Zu Zeiten besonderer sprachlicher Hochkultur, wie sie uns anlässlich vieler ausufernder, hilfloser Kunstkritiken vorgeführt wird, tritt sie manchmal auch in Form eines langgezogenen Furzes in Erscheinung; sogar geruchlose Exemplare seien schon beobachtet worden, erzählte man mir – und dies, obwohl die Sprache nicht selten, um es volkstümlich auszudrücken, „zum Himmel stinke“.
Werde ich persönlich daraufhin angesprochen, beeile ich mich meist festzustellen, dass die Vielfalt der stufenlos ineinander übergehenden sprachlichen Aggregatzustände unterschiedlichster Provenienz nicht unbedingt notwendig eine der Sprache inhärente Eigenschaft sein müsse, sondern auch darin begründet sein könnte, dass es – aber das eindeutig zu belegen, würde umfangreiche Gutachten erfordern – nur mehr wenige Exemplare der Spezies Mensch gäbe, die die unterschiedlichen „feinstofflichen Eigenschaften“ dieser Ausscheidungen angesichts des allgemeinen sprachlichen Verschmutzungszustandes überhaupt noch wahrzunehmen in der Lage seien.
Trotz dieses wie ich gerne zugebe wenig positiven Befundes, lässt sich in durchaus optimistischer Weise zusammenfassend sagen:
Erst wenn er – der Mensch – das, was er in sich trägt, erfolgreich herausgedrückt, also ausgedrückt hat, scheint er in der Lage zu sein, das zu fühlen, was er – der Mensch – im Grunde seines Herzens immer schon fühlen wollte, vollständige Zufriedenheit mit sich und der Welt.