Und die Intellektuellen schweigen?

In Zeiten des Umbruchs, und angeblich befinden wir uns wiedereinmal in einer solchen Umbruchszeit, ist jede „Gemeinschaft“ auf den guten Rat ihrer geistigen Eliten angewiesen. Diese geistigen Eliten, die Intellektuellen, tragen, ob sie es nun wollen oder nicht, eine große historische Verantwortung. Auch dann, wenn sie von der Gesellschaft in der sie leben, gering geachtet werden. Jede Gesellschaft braucht Menschen mit Weitblick, die auch in schwierigen Zeiten nicht den Überblick verlieren und nicht von Panik erfasst werden, wenn die Situationen einmal kompliziert werden. Vor allem dann, wenn althergebrachte Werte nicht mehr so einfach anwendbar sind, wie man es gewohnt ist, weil sie mit einander in Konflikt kommen, sollten sie Wegmarkierungen setzen können, die dem einfachen Wanderer durch die Zeit, mögliche Richtungen anzeigen. Diese Wegmarken sind nirgends auszumachen. Und sie fehlen deswegen, weil sich die Intellektuellen offensichtlich erfolgreich weigern, zu den Problemen der Zeit Stellung zu nehmen. Inwieweit sie selbst daran Schuld sind oder ob sei einfach nur nicht gefragt, ob sie von „den Medien“ absichtlich übergangen werden, sei dahingestellt. Politiker beschränken sich gerne darauf, auf den Rat der professionellen Politikberater zu hören, die meist aus ihrem ideologischen Dunstkreis rekrutiert werden, und sich schon allein deswegen gedanklich in einem streng abgesteckten Denkrahmen bewegen müssen. Das vielbeschworene „über den Tellerrand hinausblicken“ findet einfach nicht statt.

Dies ist um so mehr zu beklagen, als die derzeitigen „Führer“ der politischen Parteien, vielleicht mit einer einzigen Ausnahme, gemeint ist Frau Meinl-Reisinger, eine katastrophale „Performance“ nach der anderen hinlegen, was mich sehr daran zweifeln lässt, dass die Parteigranden die ihnen gestellten Anforderungen auch nur ansatzweise zu bestehen im Stande sind. Ich behaupte, dass Leuten wie Nehammer, Kickl, Babler und Co. absolut jede Qualifikation fehlt, ihr Amt an der Spitze des Staates so auszufüllen, dass eine gedeihliche Entwicklung hin zum Besseren erwartbar wäre. Wie kann man von Menschen erwarten, die Kinder zu McDonalds schicken wollen, damit sie ein warmes Mittagessen bekommen, zur Behandlung von Corona ein Pferdewurmmittel empfehlen oder sich im 21. Jahrhundert als Marxisten bezeichnen, dass sie die Geschicke eines Staates erfolgreich lenken? Dennoch: Man kann es nicht anders als als Paradoxie bezeichnen, wenn Nehammer dafür gescholten wird, weil er Menschen rät, sich bei Mac-Donalds zu verköstigen, um so mehr als sie das mit großer Freude und in großer Zahl ohnehin seit Jahren tun; anders sieht es aus, wenn man Leuten rät, ein Wurmmittel für Pferde als Corona-Vorsorgebehandlung zu verwenden. Wie es mit der intellektuellen Kapazität von denen steht, die sich heute – nach Millionen von Toten während des Sowjetregimes- noch als Marxisten bezeichnen, kann man letztlich nur vermuten; sich als Marxisten zu bezeichnen, dazu hat sich bekanntlich nicht einmal Marx hinreißen lassen. Der eine ausgestattet mit einem Kurs in politischer Kommunikation, der andere hat wenigstens Matura, der Dritte ist überhaupt nur Hilfsarbeiter. Nein, eine gute Schulbildung allein ist es nicht, die Qualität garantiert, dem stimme ich zu, aber ohne eine gute, umfassende Bildung ist garantiert auch keine Qualität zu erwarten. Da auch in den sogenannten „zweiten Reihen“ kaum Besseres zu finden ist, weil jeder „Leitwolf“ mit seinen Getreuen streng darauf achtet, dass in seinem Umkreis keine Konkurrenz entsteht, die ihm gefährlich werden könnte, schwindet auch der letzte Hoffnungsschimmer auf Besserung der Lage aus den Ressourcen der parteipolitischen Landschaft heraus.

Die ultimativ letzte Hoffnung richtet sich daher auf die Intellektuellen der sogenannten Zivilgesellschaft und darauf, dass diese Gruppe aufschreit und vielleicht sogar versucht, das Ruder herumzureißen. Aber auch diese Gruppe versagt leider auf der gesamten Linie. Entweder sie betätigt sich als Steigbügelhalter innerhalb ihres gewohnten politischen Umfelds, um für sich Vorteile zu generieren oder sie bleibt stumm, um wenigstens nicht aufzufallen. So werden Nehammer, Kickl, Babler und Co. – wieder nur von ihresgleichen beraten.

Ein Blick nach Brüssel ermutigt auch nicht gerade. Die wirklich großen Probleme; Wirtschaftsstagnation, Umweltfrage, Bildungsmisere, Gesundheitsversorgung, Infrastruktur, Immigration, Flüchtlingsmisere, alles liegt im Argen nirgends ist eine gemeinschaftliche Lösung in Sicht.

Zurück zur Sache:

Der Begriff „Umbruchzeit“ ist bekanntlich ein sehr dehnbarer, vielleicht sogar ein überstrapazierter Begriff, da der Mensch immer schon sich verändernden Umständen und Lebensbedingungen ausgesetzt war. Man hat sich nie darauf verlassen können, dass die Welt von heute auch noch die Welt von morgen ist. Insofern befinden wir uns in keiner wirklichen Ausnahmesituation. Das einzig Beständige war immer das Unbeständige, die Veränderung: klimatisch, sozial, wirtschaftlich, technisch; alles „fließt“.

Eine der größten Herausforderungen unserer Jahrzehnte liegt offensichtlich im Bereich der Zuwanderung. Man kann nicht leugnen, dass die Immigrationswellen der letzten Jahre, allen voran die Jahre 2015 und 2022, für den Staat und die in ihm lebenden Menschen eine große Herausforderung darstellen. Vielleicht handelt es sich sogar um eine der größten sozio-kulturellen Herausforderungen seit den Tagen der Völkerwanderung?

Auch wenn man dagegen einwenden kann, dass Österreich als Überbleibsel der Habsburger Monarchie seit langem von Zuwanderung aus allen Teile des damaligen Vielvölkerstaates geprägt ist, ist die Situation heute eine andere. Damals, zu Zeiten der Monarchie erfolgte die Zuwanderung hauptsächlich aus den europäischen Gebieten: aus Tschechien, aus der Slowakei, aus Ungarn, vielleicht noch aus der Ukraine. Die kulturellen Unterschiede waren daher bewältigbar. Einen Sozialstaat gab es nicht, jeder musste sehen, wo er bleibt und wie er es schafft. Das war für die Neuankömmlinge Anreiz genug, sich möglichst rasch zu integrieren. Heute hingegen kommen Menschen aus Afrika, Afghanistan, Pakistan, Arabien, Indien, Persien, Asien, viele also, die zwar hier ein für sie besseres Leben erwarten, gleichzeitig aber ihren traditionellen Lebensformen treu bleiben wollen. Vielen fällt es schwer, die mitteleuropäische Lebensart, die oft in krassem Gegensatz zu ihren traditionellen Wertauffassungen steht, zu akzeptieren. Nicht nur, dass sie diese Lebensart für sich selbst nicht annehmen wollen, sie erwarten auch noch, dass die hier lebende autochthone Bevölkerung auf ihre Lebensart und Wertvorstellungen Rücksicht nimmt. Sie bilden, anstatt sich zu integrieren, „Parallelgesellschaften“ und leben mit den Annehmlichkeiten und der sozialen Absicherung des modernen Europa ihr gewohntes Leben weiter, das vielfach von vormodernen, patriachalen Regeln und einer Religion bestimmt wird, die den Grundsätzen einer „offenen Gesellschaft“ diametral entgegensteht. Der liberale Staat und seine demokratischen Einrichtungen werden nicht nur abgelehnt, sondern gerne sogar durch ostentatives Ignorieren der Regeln lächerlich gemacht, eigene Rechtsordnungen (Scharia) aufrechterhalten, das Gewaltmonopol des Staates in Zweifel gezogen. Blutrache und Selbstjustiz sind an der Tagesordnung.

Wen also wundert es, dass sich die „Bandenkämpfe“ innerhalb von zugewanderten Gruppen häufen? Dass die Polizei bestimmte Bezirke in Deutschlands Städten nicht mehr zu betreten wagt und Terroranschläge zunehmen, ist inzwischen nicht mehr zu leugnen. Und die illegale Zuwanderungsrate steigt weiter rapid an, ohne dass sich die europäischen Politiker zu einer Eindämmung durchringen könnten. Alles bleibt provisorisch und möglichst nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Einige der ehemaligen „Oststaaten“ versuchen einen Sonderweg und ernten Hohn und Verachtung.

Eine gesamteuropäische Lösung, wie man die illegale Zuwanderung über das Mittelmeer endgültig stoppen kann, ist nach wie vor nicht in Sicht. Man kann sich nicht einigen. Für die einen sind Push-backs die einzige Möglichkeit wirksam auf die illegale Einwanderung zu reagieren, für die anderen bedeutet das den Bruch der internationalen Menschenrechtscharta, die jedem eine individuelle Prüfung seines Asylanspruches zusichert.

Letztlich ist das eine rein juristische Frage, die meines Erachtens nicht nur falsch beantwortet, sondern von den Moralisten sogar in eine Frage der Ethik umfunktioniert wurde. Besonders die Frage der Einwanderung aus sogenannten „sicheren Drittstaaten“ ist es, die besonders umstritten ist. Wobei sich hier unter anderem die Frage auftut, was unter einem „sicheren Drittstaat“ zu verstehen ist. Müssen die Verhältnisse für alle im Staat lebenden Personen „sicher“ sein oder genügt es, wenn die asylsuchende Person in diesem Staat nicht mehr verfolgt wird und daher in diesem Sinne „sicher“ ist. Anders ausgedrückt, ist für eine Person, die etwa in Saudi Arabien politisch verfolgt wird, Syrien, auch wenn dort Krieg herrscht, ein sicherer Drittstaat? Ich meine: Ja!

Dass manche europäische Staaten, die Aufnahme von „kulturfremden Flüchtlingen“ größtenteils ablehnen, muss man – auch wenn es mitunter schwerfällt – akzeptieren, vor allem dann, wenn man sonst so gerne das Ideal einer „offenen Gesellschaft“ beschwört. Kennzeichen Europas ist der liberale Pluralismus und nicht autoritäres Gehabe. Es gibt Länder, die sich an einem „Verteilungsschlüssel“, der den Ländern eine Aufnahme von Flüchtlingen aufzwingen will, eben absolut nicht beteiligen wollen, weil sie fürchten, damit zu viel an Souveränität aufgeben zu müssen. Das ist zu respektieren, ebenso wie der Wunsch von Ländern Migranten und Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Sie sollen es tun dürfen. Schweden hat bekanntlich sehr lange Zeit, besonders als die Sozialdemokraten die Regierung stellten, viele Flüchtlinge aufgenommen und wurde deswegen von den Grünen und der SPÖ lange als positives Beispiel angesehen. Jetzt wird den Schweden die Rechnung dafür präsentiert. Die Bandenkämpfe, die immer wieder auch unbeteiligte Opfer fordern, sind nur mehr mit Hilfe des Militärs einzudämmen. Inzwischen haben sich die politischen Machtverhältnisse in Schweden verändert, damit ist auch die Benennung des Problems möglich geworden.

Es ist nur eine Frage der Zeit, dann wird auch Schwedens Bevölkerung seine Meinung hinsichtlich der weiteren Aufnahme von Flüchtlingen ändern. Und andere Staaten werden folgen.

Denn es nützt wenig, das Problem auf den „Sankt Nimmerleinstag“ verschieben zu wollen. Zu warten bis die Zustände von Lampedusa in ganz Europa vorzufinden sind, wird ins Verderben, womöglich sogar in bürgerkriegsartige Zustände führen.

Wo aber sind unsere Intellektuellen, die dazu Stellung nehmen? Stellung zu nehmen, heißt nicht, wortreich die eigene moralische Haltung zu präsentieren, sondern ganz pragmatische Lösungsvorschläge anzubieten. Die Intellektuellen, die Schriftsteller, die Künstler, alle schweigen. Fällt ihnen dazu nichts ein?

Einer der wenigen allgemein anerkannten Vorschläge aus den Parteien läuft darauf hinaus, mehr an geregelter, legaler Zuwanderung dadurch zu ermöglichen, dass man in den Botschaften von sicheren Anrainerstaaten der EU die Möglichkeit schafft, dort einen Asylantrag oder einen Einreiseantrag zu stellen. Die Asylwerber müssten dann dort das Ergebnis der Prüfung abwarten. Kritisiert wird, dass die Antragsteller dort in mehr oder weniger gefängnisartigen Lagern ihr Verfahren abwarten müssten. Warum das unbedingt gefängnisartige Lager sein müssen, ist mir nicht einsichtig. Es müssen überhaupt keine Lager sein, jeder Antragsteller kann das für sich regeln. Er muss nicht einmal für die europäischen Behörden erreichbar sein. Es genügt, wenn der Antragsteller von Zeit zu Zeit selbst nachfragt, ob und wie seine Sache entschieden wurde. Was ich meine ist, dass dies eine Sache praktischer Regelung ist, auf die es hier letztlich nicht ankommt.

Wovon man nicht ausgehen kann, ist die Tatsache, dass der Ausbau legaler Möglichkeiten der Einreise, die illegalen Bestrebungen aller derjenigen verhindern könnte, denen die legale Einreise verwehrt wurde. Es wäre nur all zu verständlich, wenn viele der Abgelehnten weiter versuchten, illegal nach Europa einzuwandern, wenn man sie nicht – wenn notwendig sogar mit legitimer staatlicher Gewalt – davon abhält.

Man muss sie wahrlich nicht ertrinken lassen und schon gar nicht erschießen; es würde genügen, anstatt sie mit staatlich geförderter Unterstützung der Seenotrettung nach Italien zu bringen, sie von der Küstenwache konsequent in die Nähe jener Küste zurückzuschaffen, von wo aus sie ihren illegalen Versuch starteten und ihre Boote dort mit gerade soviel Treibstoff auszustatten, dass sie bei gutem Wetter wieder die Küste ihrer Abfahrt erreichen. Das würde sich im Nu herumsprechen und zukünftige Versuche auf ein Mindestmaß zurückschrauben.

Viele Menschenleben wären gerettet. Man muss es nur tun!

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