„Partisan der Geistesfreiheit“

Zum Gedenken an Ernst Topitsch

Während einer durchschnittlichen Studiendauer an öffentlichen Bildungseinrichtungen ist man einigen Einflüssen, positiven wie negativen, ausgesetzt, die auch später noch, wenn man diese Institute schon lange verlassen hat, in einem nachklingen. Zumindest dann, wenn man es geschafft hat, sich wenigstens eine geringe Portion von Selbstreflexion anzutrainieren. Einer dieser ganz gravierenden, um nicht zu sagen prägenden Einflüsse, die meine Gedanken bis heute nachhaltig und wie ich meine positiv beeinflussen, verdanke ich Karl Acham, den ich an der Karl-Franzens-Universität in Graz, am Institut für Soziologie, als Lehrer erleben durfte. Seine Scharfsichtigkeit und ungetrübte Kritikfähigkeit gründeten und gründen sich auf ein unerschütterliches Fundament, das man im positivst – humanistischen Sinn als „umfassende Bildung“ bezeichnen kann. So es jemals so etwas gegeben haben mag, was Karl Mannheim als „freischwebende Intelligenz“ bezeichnet hat, so träfe das für die Geisteshaltung Karl Achams wohl ebenso zu, wie es für Ernst Topitsch – um den es im Folgenden gehen wird – zu behaupten angebracht wäre.

Es war ein Glücksmoment, der mir – wenn ich mich richtig erinnere – im Jahr 2013 beim Durchstöbern der Online-Ausgabe der Wiener Zeitung einen Artikel Karl Achams zur Kenntnis brachte, der dem Andenken eines bedeutenden Philosophen, der zudem an der Grazer Universität wirkte, gewidmet war. Es geht um einen außerordentlichen und äußerst umstrittenen Mann, dessen Bücher jedem kritischen Geist für das eigene Wachstum reichlich Nahrung bescheren. Da meine persönlichen Begegnungen mit dem hier Vorgestellten, tatsächlich nur „Begegnungen“ im wahrsten Sinn des Wortes: solche im Vorübergehen waren, ich durfte ihn leider nie als Lehrer erleben, beschränke ich mich darauf, einige Gedanken aus Karl Achams Text – wenn auch verkürzt und weniger elegant, als er es zu formulieren wusste, aufzunehmen und darzustellen.

Ernst Topitsch, um den es hier gehen soll, war ein international anerkannter Geistes- und Sozialwissenschaftler, der von verschiedensten weltanschaulich-politischen Lagern negativ (und damit wohl auch höchstwahrscheinlich grundfalsch) beurteilt wurde. Einmal galt Topitsch seinen Gegnern als „gefährlicher Marxist“, wie der katholische Existenzphilosoph Gabriel Marcel bei den Alpacher Hochschulwochen 1957 meinte, dann stand er den einen zu „rechts“, (vielleicht deswegen, weil er auch in der „Aula“ publizierte, siehe Wikipedia) dann war er bloß zu konservativ. Während die einen ihn für einen Marxisten hielten, wurde er von sowjetischer Seite als „feiger Nihilist des heroischen Positivismus“ bezeichnet. Zur Zeit der sogenannten Studentenrevolte hielt man ihn für „reaktionär“, und nicht zuletzt fand er auch noch Eingang in das „Handbuch Rechtsextremismus 1993“. „Es waren wohl die Blockwarte der geistigen Observanz, die ihm nicht nur zuwider, sondern auch so zugetan waren, dass er 1995, im Zusammenhang mit den Brief- und Rohrbombenattentaten der später als Franz Fuchs enttarnten „Bajuwarischen Befreiungsarmee“, eine polizeiliche Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste.“, schreibt Karl Acham, unter dem Titel “Partisan der Geistesfreiheit“ in seinem Aufsatz.

Diese Angriffe, die Topitsch von allen Seiten bedrängten, machen ihn für mich nicht nur interessant, sondern sogar liebenswert. Insofern fühle ich eine geistige Verwandtschaft zu ihm, ohne mich vergleichen zu wollen, Topitsch war ein brillanter Denker und ein Wissenschaftler von internationalem Rang. Er veröffentlichte 14 Bücher und rund 150 Aufsätze.

Besonders eindrücklich die Sammlung „Studien zur Weltanschauungsanalyse“ (1996). Er selbst hielt die letzte Version seines Buches „Erkenntnis und Illusion“ (1988) für seine bedeutsamste Publikation; für andere liegen seine Stärken eher in der Sozialphilosophie (siehe „Sozialphilosophie zwischen Ideologie und Wissenschaft“, 1971) und Ideologiekritik (Gottwerdung und Revolution“, 1973).

Acham meint, Topitsch sei nach eigenem Bekunden besonders durch die Schriften und geistigen Haltungen von Thukydides, David Hume, Vilfredo Pareto und Max Weber beeinflusst gewesen. Wegweisend seien für ihn auch Freuds Analysen von Kultur und Religion so wie die Beschäftigung mit dem Logischen Empirismus und der genetischen Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz.

Vor allem seine Arbeiten in den frühen 1950er Jahren über das Naturrecht und den Historismus haben Topitsch in heftige Diskussionen verstrickt.

So bedienen sich, wie Topitsch in seinem berühmten Aufsatz „Über Leerformeln“ (1960) etwa am Begriff „Dialektik“ oder „Ganzheit“ zeigt, mehrere einander bekämpfende Gruppen sogar der gleichen Prestigewörter, welche dann oft, gemeinsam mit pseudotheoretischen Erklärungen, eine bedeutende Rolle im politischen Leben zukommt. Das begrifflich und theoretisch vielfach unbestimmte Schrifttum von Hegel wird dabei von ihm gleichermßen kritisch in Betracht gezogen wie einige hochgradig alerte Wendungen bei Karl Marx, Ernst Bloch, Jürgen Habermas und Carl Schmitt,[…].“

Vor allem eine seiner letzten Publikationen „Stalins Krieg“ (1985, 1998), in der Topitsch darstellte, dass es sich im Jahr 1941 um einen Zusammenprall zweier Stoßrichtungen totalitärer Eroberungspolitik handelte, wobei der eine Aggressor dem anderen um eine nicht sehr große Zeitdifferenz zuvorgekommen ist, hatte „statt ernsthafter Diskussion oft nur höhnische und auch hasserfüllte Reaktionen zur Folge. […] Diese Darstellung der Sachlage kommt in den Augen bestimmter Vertreter der Zeitgeschichteforschung geradezu einem Sakrileg gleich.

Das Abweichen seiner Forschungsergebnisse vom „historischen Grundkonsenstrug maßgeblich dazu bei, dass Topitsch einen Teil seiner Publikationsmöglichkeiten verlor. Topitsch blieb sich aber dennoch treu und „sah es als eine Sache der intellektuellen Redlichkeit an, „die Illusionisten aufzuklären, die Hypokriten zu entlarven, die präsumptiven Opfer zu warnen und so die Freiheit zu schützen.“

Es ist für jeden kritischen Geist überaus lohnend, so sei abschließend festgehalten, sich intensiv und ernsthaft mit den Forschungsergebnissen von Ernst Topitsch zu beschäftigen; man muss ihm ja nicht überall kritiklos zustimmen, was ihm auch nie gefallen hätte; aber einen offenen Geist vorausgesetzt, wird man dabei in jedem Fall eine Fülle von Erkenntnissen gewinnen, die das eigene Bild ungemein zu bereichern im Stande sind. Als mein Lieblingsbuch darf ich „Überprüfbarkeit und Beliebigkeit, Die beiden letzten Abhandlungen des Autors“, Herausgegeben von Karl Acham, Böhlau, 2005, empfehlen. Keinesfalls sollte man sich leichtfertig und ohne sich ein eigenes Bild zu machen, jenen Meinungen anschließen, die Ihn als „Rechtsextremisten“ abstempeln, um sich nicht mit seinen Thesen auseinandersetzen zu müssen. Das wird weder seinen Leistungen gerecht, noch dem, was man als Versuch einer objektiven Wissenschaftlichkeit im Sinne Max Webers verstehen sollte.

PS.: Die kursiv gestellten Textteile sind Zitate aus dem oben erwähnten Aufsatz von Karl Acham, seit 2008 emeritiert, er lehrte Soziologie und Philosophie an der Univ. Graz, hatte zahlreiche Gastprofessuren im Ausland und ist Träger des Österr. Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst

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